Start-ups im „Tal des Todes“
Deutschland ist das Land der Tüftler und Erfinder? Stimmt nicht. Zumindest im Verteidigungsbereich haben es Start-ups mit innovativen Ideen extrem schwer. Viele scheitern am trägen Beschaffungssystem der Bundeswehr.
Moritz Sümmermann ist erleichtert. Er hat gerade sein smartes Tarnkit vor einer Jury präsentiert, danach haben ihn die Jurymitglieder mit allerlei Fragen gelöchert: Wie die Technologie genau funktioniere? Ob seine Idee skalierbar sei? Sümmermann hat alle Fragen in fließendem Englisch beantwortet – er will schließlich die „Defense Start-up Challenge“ gewinnen. Das ist ein Wettbewerb, bei dem zehn Start-ups mit ihren innovativen Ideen für den Verteidigungsbereich gegeneinander antreten. Die meisten anderen Start-ups, die ihre Ideen auf der Berliner Sicherheitskonferenz präsentieren, stellen Software her. Sümmermann dagegen hat ein Tarnkit erfunden, das sich mithilfe von KI selbstständig an die Farbe und Struktur der Umgebung anpasst. Es kann über Militärfahrzeuge gelegt werden, sodass diese praktisch mit ihrer Umgebung verschmelzen. Am Ende des Wettbewerbs wird das Start-up „Filancore“ gewinnen. Es stellt Software her, die in innovativer Weise Daten in den Netzen von Militärs schützen soll. Doch obwohl Sümmermann mit seiner Tarnnetz-Idee nicht gewonnen hat, wirkt er nicht allzu enttäuscht.
Denn Sümmermann macht sich über ganz andere Dinge Sorgen. Aber von vorne. Der 33-jährige Softwareentwickler hat schon während seines Mathematikstudiums an Erfindungen getüftelt. Weil er gerne Judo macht, aber oft niemand Zeit hatte, mit ihm zu trainieren, hat er damals eine Maschine erfunden, die einen Sparringspartner beim Judo nachahmt. Die steht jetzt in seinem Keller. Aber nicht nur fürs Programmieren und für Judo interessierte sich Sümmermann schon früh. Auch für die Bundeswehr schlug sein Herz. Nach seinem Wehrdienst bei den Fallschirmjägern machte er deshalb immer wieder Reserveübungen. Dort, bei den Aufklärern der Gebirgstruppe, fiel ihm auf, mit welch veraltetem Gerät die Soldaten teilweise unterwegs waren. Ihm kam eine Idee: Warum nicht die Tarnung der Truppe total neu denken? Bisher tarnen Soldaten ihre Fahrzeuge mit Zweigen – doch das macht in wüstenartigem Gelände oder bei Schnee keinen Sinn. Sümmermann fing an, mit hexagonalen Platten zu experimentieren, die mithilfe von KI-gesteuerter Software ihre Farbe an die der Umgebung anpassen können. Er tüftelte in den vergangenen drei Jahren immer weiter daran, seine Technik funktionierte immer besser.
Großes Hemmnis: ESG-Kriterien
Vor einem Jahr gründete er dann mit zwei Bekannten das Unternehmen „Oberon Systems“, um das smarte Tarnkit auf den Markt zu bringen. Doch da fingen die Probleme an. Er stellte seine Idee an mehreren Stellen bei der Bundeswehr vor. Alle fanden seine Idee prinzipiell gut. Doch: Wie könnte er seine Idee in die Bundeswehr bringen? Wohin sollte er sich für Förderungen wenden? Auf solche Fragen bekam er von niemandem eine verbindliche Antwort.
Noch schlimmer lief es bei den Banken. Keine Bank, die sie fragten, wollte den drei Gründern ein Konto geben. „Wir unterstützen keine Rüstungsunternehmen“, hieß es von den verschiedenen angefragten Banken. Schließlich fanden sie doch eine Bank, bei der sie unter strengen Auflagen ein Konto eröffnen konnten. Aber Kredite gab es nirgendwo. Doch die Materialien für die Module des Tarnkits kosteten Geld. Also woher nehmen? Die drei Gründer legten all ihr Erspartes zusammen, damit kamen sie erst einmal über die Runden.

Das was Sümmermann und sein Team erlebt haben, ist kein Einzelfall. Die Finanzierung ist generell ein großes Problem für Start-ups. Banken oder konventionelle Fonds investieren nicht in Unternehmen, die militärische Produkte herstellen. Die sogenannten „ESG“-Kriterien, die sich in der Finanzwelt etabliert haben, verbieten das bisher. ESG steht für Environmental, Social and Governance. Und Rüstungsproduktion ist laut den ESG-Krtierien gensauso wenig förderwürdig wie Glücksspiel, Kernenergie, Tabak- und Alkoholherstellung. Dazu kommt: Anders als in anderen Ländern gibt es bei uns nur wenige Risiko-Kapitalgeber, die in Defence-Unternehmen investieren – und nicht nach den ESG-Kriterien handeln. Falls ein Start-up doch eine Finanzierung von dieser Handvoll „Venture Capital“-Geldgebern bekommt, wollen diese meist ein sehr schnelles „Return-on-Investment“. Also sehr zackig Rendite sehen.
NATO Innovation Fund unterstützt nur Dual-Use-Projekte
Es gibt auch eine Handvoll staatlicher Stellen, die Rüstungsprojekte fördern. Doch diese Förderstellen unterstützen meist nur Gründer, die Produkte herstellen, die auch zivil genutzt werden können – also sich für Dual-Use eignen. So ist das zum Beispiel auch beim NATO Innovation Fund. Dieser 2021 eingerichtete, mit einer Milliarden Euro unterlegte Fördertopf der NATO unterstützt nur Dual-Use-Projekte. Also sind Sümmermann und sein Team da raus. Welcher zivile Akteur braucht schon ein smartes Tarnkit? Da kommt als Kunde nur das Militär infrage.
Für „Oberon Systems“ haben die drei Gründer zwar nach einem langen, komplexen Antragsprozess eine Forschungsförderung von der Bundeswehr erhalten. Längerfristig können sie sich damit allerdings nicht finanzieren, und das obwohl sie keine laufenden Kosten haben. Ein Gehalt zahlen sie sich nämlich nicht aus. Sie arbeiten – auch wegen der finanziellen Unsicherheit – noch in ihren bisherigen Vollzeitjobs. Sümmermann zum Beispiel ist Softwareentwickler bei Google in München.
Viel lieber als Forschungsförderung hätte Sümmermann sowieso einen zahlenden Kunden, der seine Erfindung gut findet und dafür Geld bezahlt. Reserveoffizier Sümmermann sieht da natürlich zuerst die Bundeswehr. „Ich will zur Verteidigung unseres Landes beitragen. Und am besten kann ich das mit meinen Erfindungen“, sagt er. Doch die Bundeswehr als zahlenden Kunden zu gewinnen, ist gelinde gesagt: sehr, sehr schwer. Zuständig für die Beschaffung von neuem Gerät ist das BAAINBw, das Beschaffungsamt der Bundeswehr. Es müsste einen entsprechenden Auftrag ausschreiben, auf den sich Sümmermann und sein Team mit „Oberon Systems“ dann bewerben könnte. Ein langwieriger und komplexer Prozess. Und: Selbst, wenn dem Beschaffungsamt von einer anderen Stelle der Bundeswehr der Bedarf an einem solchen Tarnkit gemeldet würde und es daraufhin eine Ausschreibung aufsetzen würde – die Wahrscheinlichkeit, dass Sümmermann und sein Team eine solche Ausschreibung dann gewinnen könnten, wäre sehr klein.
Unüberwindbare Hürden in Ausschreibungen
Warum? Weil Ausschreibungen der Bundeswehr oft verlangen, dass Unternehmen, die die Bundeswehr beliefern wollen, einen gleichwertigen Auftrag bereits für eine staatliche Stelle ausgeführt haben. Wie soll das ein Start-up schaffen? Es liegt ja in der Natur der Sache, dass Start-ups neu am Markt sind und eben noch keine vergleichbaren Aufträge erledigt haben. Und: In Ausschreibungen sind noch andere – für Start-ups unüberwindbare Hürden – eingebaut: Die Produkte sollen meist gemäß verschiedenen Normen zertifiziert sein oder komplexen NATO-Regularien genügen.
Damit befördert das gegenwärtige System das, was es eigentlich verhindern will: Nämlich, dass immer dieselben großen Rüstungsfirmen Aufträge der Bundeswehr bekommen. Und neue Akteure, die in der Tendenz agiler und innovativer sind, praktisch keine Chance haben.

Diese Probleme kritisiert auch der Bitkom, der Digitalverband der deutschen Wirtschaft. Dabei wäre die Ausgangslage gar nicht so schlecht. „Wir haben viele innovative Ideen in Deutschland, das zeigen die zahlreichen Patentanmeldungen“, sagt Daniel Breitinger, verantwortlich für den Bereich Start-ups beim Bitkom. Die Grundlagenforschung an deutschen Universitäten, die vielen digitalen Hubs, in denen junge Erfinder an ihren digitalen Lösungen tüfteln – in Deutschland hätten viele junge Menschen gute Ideen, sagt Breitinger. „Aber wir Deutschen können diese PS nicht auf die Straße bringen“, ergänzt er. Die schwierige Finanzierung für Defense-Start-ups führe zum sogenannten „Valley of Death“, also zum „Tal des Todes“. Das ist die Zeit zwischen der Entwicklung eines Prototyps und dem ersten erfolgreichen Verkauf des Produkts, der Geld in die Kasse der Start-ups spült.
Vor allem im Verteidigungsbereich gebe es dieses „Valley of Death“, da das Militär der einzig mögliche zahlende Kunde sei. Zwar sieht Breitinger Verbesserungen. Langsam würden sich private Venture Capital-Gesellschaften für Rüstungs- und Dual-Use-Start-ups öffnen. Auch gebe es eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit von ESG-Kriterien bei der Förderung von Rüstungsprojekten. Doch noch kommen diese Verbesserungen bei den wenigsten Start-ups an. Auch die lange Zeit, die von der Projektierung eines Auftrags bis zu dessen Vergabe beim Beschaffungsamt vergeht, die Bitkom nennt im Positionspapier „Beschaffung der Bundeswehr beschleunigen“ dafür einen Zeitraum von viereinhalb Jahren – trägt zum Sterben der Defence-Start-ups bei.
Was bewirkt der Cyber Innovation Hub?
Immerhin, die Problematik ist in der Bundeswehr nicht unbekannt. Im Jahr 2017 wurde der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr gegründet, um innovative Unternehmen und Bundeswehr zusammenzubringen. Und das funktioniert so: Bundeswehrsoldaten formulieren einen konkreten Bedarf an einem neuen Produkt – der Cyber Innovation Hub prüft diesen Bedarf und scannt die Start-up-Welt nach Unternehmen, die Lösungen bieten. Diese Lösungen kauft der Hub dann. Das Ziel: die Entwicklung eines funktionsfähigen Prototyps. Die Förderung durch den Hub heißt für Start-ups auch, dass diese ihre Idee in der Truppe unter Realbedingungen testen dürfen. So konnte zum Beispiel Sümmermann vergangenen Herbst ein Bundeswehrfahrzeug mit seinem smarten Tarnkit belegen, um zu testen, ob das System wie gewünscht funktioniert. Tat es.
Der Cyber Innovation Hub ist also eine gute Sache. Nur: An den Hauptproblemen der Start-ups ändert er wenig. Zwar kann der Cyber Innovation Hub eine Empfehlung an das BAAINBw abgeben, dass es wünschenswert wäre, ein bestimmtes Produkt auszuschreiben und an ein bestimmtes Unternehmen zu vergeben. Aber: Die verschiedenen beteiligten Akteure in der Bundeswehr kommunizieren meist nur unzureichend miteinander. Ob das Beschaffungsamt sich an die Empfehlung hält? Diese überhaupt bei der richtigen Stelle ankommt? Niemand weiß es genau.
Zahlen des Cyber Innovation Hub bestätigen diese Probleme: Auf Anfrage von loyal schreibt der Hub, dass er seit seiner Gründung im Jahr 2017 mehr als 180 Innovationsvorhaben gestartet habe. Ingesamt 23 dieser Vorhaben fanden ihren Weg in die Truppe, wurden also von der Bundeswehr gekauft.
Lichtteppich und Augmented Reality
So zum Beispiel das Projekt faLKE. faLKE steht für „flexibel adaptierbare Lichtversorgung für mobile Kräfte im Einsatz“ und dahinter steckt ein LED-Lichtteppich, der Licht für die Versorgung von Verwundeten spendet. faLKE ist nicht nur in der Bundeswehr nun in Gebrauch. „2.000 Exemplare hat das ukrainische Verteidigungsministerium bestellt. Die Lichtteppiche werden in der Ukraine gerade dringend gebraucht“, sagt Sven Weizenegger, der Leiter des Cyber Innovation Hubs im Gespräch mit loyal. Doch faLKE ist ein typisches Dual-Use-Produkt. Die Lichtteppiche werden bereits für die Beleuchtung von Filmsets verwendet. Für die Hamburger Firma Carpetlight, die die LED-Lichtteppiche erfunden hat, ist das Militär also nur ein Kunde unter mehreren.

Ein weiteres Beispiel eines vom Cyber Innovation Hub betreuten Innovationsprojekts, das nun von der Bundeswehr beschafft wurde, ist ACOP (Augmented Common Operational Picture). Dahinter steckt eine Brille, die mithilfe von Augmented Reality realitätsnah die Lage auf dem Gefechtsfeld visualisiert. „Der Kommandeur der Heeresaufklärungsschule in Munster hat über sein Handgeld ACOP eingekauft“, sagt Weizenegger. Man merkt ihm seinen Stolz auf die erfolgreichen Projekte an. Doch 23 Projekte, die es in die Bundeswehr geschafft haben – angesichts der vielen guten Ideen in den Start-ups und dem Bedarf der Bundeswehr an innovativer Ausrüstung ist das ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wie es bei „Oberon Systems“ weitergeht? Sümmermann und seine Kollegen hoffen immer noch auf eine langfristige Finanzspritze. Denn nachdem der Test des smarten Tarnkits in der Bundeswehr gut verlaufen ist, geht es jetzt darum, das sogenannte „Handling“ des Tarnnetzes noch zu verbessern. Sodass Soldaten das Tarnnetz einfach bedienen können – und es auch unter harten Bedingungen verlässlich funktioniert. Auch das wird wieder viel Zeit und Geld benötigen. Viele aus der Start-up- Szene raten Sümmermann, mit seiner Firma in die USA zu gehen. Dort gibt es einfache, schnelle Unterstützung für Defense-Start-ups. Aber das will er eigentlich nicht. Der Reserveoffizier will in seinem eigenen Land einen Unterschied machen, zur Sicherheit beitragen.
Vielleicht kommt jetzt aber auch endlich mehr Dampf in die träge Beziehung der Bundeswehr zu den Start-ups: Anfang Februar hat die Präsidentin des Beschaffungsamts, Annette Lehnigk-Emden, angekündigt, ein neues Innovationszentrum der Bundeswehr in Erding aufbauen zu wollen. Dieses soll dem Beschaffungsamt unterstehen und die verschiedenen Akteure der Bundeswehr sowie die privaten Unternehmen zusammenbringen. Denn „neue Ideen und Start-ups müssten schneller in die Wirkung kommen“.