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Strategisch gescheitert

Der Bundestag hatte nach der letzten Wahl 2021 zwei Gremien eingesetzt, um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr von 2001 bis 2021 aufzuarbeiten. Jetzt haben Untersuchungsausschuss und Enquetekommission zu Afghanistan ihre Berichte vorgelegt. Es sind Dokumente des Scheiterns. Wird die Politik wirklich daraus lernen?

Bilder der chaotischen Szenen am Flughafen Kabul beim Abzug der internationalen Truppen im August 2021 bleiben in Erinnerung.

Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

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Die verkürzte 20. Wahlperiode hat von den Afghanistan-Experten im Bundestag zum Schluss noch einmal alles abverlangt. Früher als geplant mussten sie wegen der vorgezogenen Bundestagswahl ihre jeweiligen Abschlussberichte vorlegen. Das bedeutete Überstunden und Nachtarbeit für Abgeordnete und Mitarbeiter. Die beiden vom Bundestag eingesetzten Gremien haben ihr Pensum geschafft: Die Enquetekommission veröffentlichte ihren Bericht am 27. Januar, der Untersuchungsausschuss folgte fünf Tage vor der Bundestagswahl gerade noch kurz vor Torschluss.

Die Bundesrepublik war von 2001 bis 2021 mit bis zu 5.350 Soldaten gleichzeitig in Afghanistan. 93.000 deutsche Soldaten sammelten über 20 Jahre Einsatzerfahrungen in diesem fernen, fremd gebliebenen Land. 59 haben dort ihr Leben gelassen, 35 von ihnen fielen durch Fremdeinwirkung. Die Bundeswehr geriet in Situationen, die deutsche Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt hatten. Die Bombardierung von Tanklastwagen nahe Kundus am 4. September 2009 mit zahlreichen Toten unter der Zivilbevölkerung und das Karfreitagsgefecht vom 2. April 2010 – es jährt sich im kommenden Monat zum 15. Mal – sind die militärischen Ereignisse, die in Erinnerung geblieben sind. Auch der letzte Akt des afghanischen Dramas, der kopflose und überstürzte Abzug der westlichen Truppen im August 2021 mit seinen dramatischen Bildern, wird bei vielen Menschen im Gedächtnis bleiben. Die Frage, die sich stellt, lautet: Was kann die Politik künftig besser machen?

Politik log sich selbst in die Tasche

Eine Erkenntnis der Enquetekommission lautet: Die Lage wurde über Jahre unrealistisch positiv eingeschätzt, die Politik log sich selbst in die Tasche. Die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beschönigte die Lage in Afghanistan Jahr um Jahr. Bei praktisch jeder Mandatsverlängerung wurde den Deutschen weisgemacht, dass sich Afghanistan trotz eingeräumter Schwierigkeiten auf dem Weg zu einem demokratischen Staatswesen befände, dass die soziale und wirtschaftliche Entwicklung voranschreite, sich die Bildung ebenso verbessere wie die Rechte von Frauen und Kindern.

Ein afghanischer Junge 2009 vor amerikanischen Militärfahrzeugen südöstlich von Kandahar. (Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Das mag punktuell so gewesen sein. Eine Generation lang hat eine afghanische Elite von den Segnungen des Westens profitiert. Die Masse der Afghanen aber blieb vom Fortschritt ausgeschlossen. Nachhaltig war das ganze Unternehmen ohnehin nicht. Am Ende fiel das Land mit der Rückkehr der Taliban 2021 in die geschichtliche Umnachtung zurück, aus der es gekommen war. Die Opfer der Bundeswehr und der anderen Nationen im Krieg in Afghanistan waren vergebens. Die eine Billion Dollar allein für das Militär, die der Westen aufbrachte, waren herausgeworfenes Geld. Von den Milliarden an Entwicklungs- und Aufbauhilfe ganz zu schweigen. Vieles versickerte in den Taschen einer korrupten politischen Führung, auf die der Westen seine ganzen Hoffnungen gesetzt hatte.

Kompetenzwirrwarr und Wunschdenken

Das Ergebnis des Untersuchungsausschusses zum katastrophalen Ende des Afghanistan-Einsatz fällt nicht minder bitter aus. Die Bundesregierung war schlecht informiert und stimmte sich miserabel ab. Statt Entscheidungsfreude herrschten Kompetenzwirrwarr und Wunschdenken vor. Politische Führung? Fehlanzeige. Schleppende Verwaltungsabläufe verhinderten ein frühzeitiges effizientes Handeln in den Wochen vor der Machtübernahme im Sommer 2021 durch die islamistischen Taliban in Kabul. Die Bundeswehr hatte das Land im Juni jenes Jahres schneller als geplant verlassen. Sie folgte damals zeitlichen Vorgaben der USA.

Trauerfeier in Köln 2007 für deutsche Soldaten, die in Afghanistan bei einem Selbstmordanschlag getötet wurden. Insgesamt ließen 59 Bundeswehrangehörige dort ihr Leben. (Foto: picture alliance / Ulrich Baumgarten)

Nachdem die Taliban im August 2021 nach einer Blitzoffensive die Hauptstadt Kabul praktisch ohne Gegenwehr eingenommen hatten, beteiligte sich Deutschland an einem internationalen militärischen Evakuierungseinsatz. Es kam zu chaotischen Zuständen und gefährlichen Situationen rund um den Flughafen. Der Ausschussvorsitzende Ralf Stegner (SPD) nannte drei zentrale Lehren aus dem überhasteten Abzug: Erstens müsse die Arbeit der deutschen Geheimdienste besser werden. Zweitens müsse sich die Politik immer auf alle Szenarien einstellen – auch die schlimmsten. Und drittens müssten die unterschiedlichen Bundesministerien ihr „Silo-Denken“ überwinden. Stattdessen brauche es ein gemeinsames Lagezentrum.

Kultur, Geschichte und Tradition nie verstanden

Der Westen wollte zu viel in Afghanistan. 2023 – zwei Jahre nach dem Ende des Einsatzes – waren nach Angaben des World Food Programmes zwei Drittel der Afghanen auf humanitäre Hilfe angewiesen, es gab laut UN-Flüchtlingshilfswerk 3,25 Millionen Binnenflüchtlinge. Noch mehr waren es in den Nachbarländern Pakistan und Iran. In Deutschland lebten nach dem Ende des Einsatzes 420.000 Afghanen – mehr als je zuvor. Das hatte man sich anders vorgestellt. Die Probleme der deutschen Migrationsproblematik hängten auch mit dem Scheitern in Afghanistan zusammen: Afghanen stehen nach Syrern an zweiter Stelle derjenigen, die es legal oder illegal nach Deutschland zieht. Wenn etwas das Versagen des internationalen Engagements in Afghanistan belegt, dann sind es diese Zahlen. Für die Enquetekommission fehlte „eine realistisch umsetzbare kohärente Strategie“. Die beteiligten Ministerien und Institutionen machten 20 Jahre lang ihr eigenes Ding. Nicht zuletzt hat die deutsche Bürokratie die Kultur, Geschichte und Tradition am Hindukusch nie verstanden. Fazit der Enquetekommission: Deutschland ist in Afghanistan „strategisch gescheitert“.

Patrouille der Bundeswehr im Rahmen des ISAF-Einsatzes in der Nähe von Feyzabad 2008. (Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Im Grunde hatte sich dieses Scheitern bereits mit dem Ende des ISAF-Mandats (International Security Assistance Force) 2014 abgezeichnet. Dennoch folgte eine weitere Afghanistan-Mission, „Resolute Support“ – zwar mit nicht mehr ganz so starkem Engagement, aber immer noch genug, um dem Land einen Stempel aufdrücken zu wollen. Nicht nur das: Ohne aus den bisherigen Erfahrungen in Afghanistan die richtigen Schlüsse zu ziehen, schickte der Bundestag damals deutsche Soldaten in eine weitere Mission impossible: nach Mali. Dort dienten zehn Jahre lang, von 2013 bis 2023, insgesamt 26.000 Bundeswehrangehörige als zusammengewürfelte Truppe ohne geeignete Ausrüstung. Dieser Einsatz ging sang- und klanglos im Dezember 2023 zu Ende. Verbessert hat sich die Lage durch die Präsenz westlicher Streitkräfte in Mali ebenso wenig wie in Afghanistan. Warum Deutschland an derartig aussichtslosen Missionen festhielt, hatte einen einzigen Grund: Bündnissolidarität.

Das jedenfalls erklärte der ehemalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière im Sommer 2023 mit bemerkenswerter Offenheit vor der Enquetekommission: „Hätten wir gesagt, wir gehen da raus, weil wir keinen Einsatz sehen, hätten wir ein massives Bündnisproblem gehabt.“ In Afghanistan waren es die Amerikaner, in Mali die Franzosen, denen die Deutschen folgten. In Mali blieben die Deutschen sogar noch, als die Franzosen längst abgezogen waren.

Kampfeinsatz der von der Bundeswehr geführten 3. Task Force bei der Operation Orpheus in der Nähe der Stadt Nawabad im Oktober 2011. (Foto: picture alliance / JOKER)

Die Politik wird die schmachvollen Berichte von Enquetekommission und Untersuchungsausschuss intensiv studieren müssen: Sollte es nämlich zu einem Friedensschluss in der Ukraine kommen, der den Einsatz einer internationalen Truppe zum Schutz des ausgehandelten Deals vorsieht, könnte es zu einer Beteiligung Deutschlands kommen. Militärexperten sprechen schon jetzt von einer internationalen Ukraine-Friedenstruppe mit einer Stärke von 130.000 bis 150.000 Soldaten, für die die Bundeswehr einen gehörigen Teil stellen müsste. In diesem Fall käme es zu einer komplett neuen Schwerpunktsetzung in der deutschen Verteidigungspolitik.

Erkenntnisse

Allein schon aus finanziellen Gründen und aufgrund fehlender Ressourcen und Reserven müsste die Bundeswehr von der Landes- und Bündnisverteidigung erneut auf diesen neuen Auslandseinsatz umschwenken, der absehbar noch mehr Mann und Material benötigt und der noch länger dauern könnte als der in Afghanistan. Dafür sollten die Erkenntnisse aus den Berichten von praktischem Wert sein. Sie mahnen für künftige Einsätze einen realistischen Auftrag an, gute Planung und Abstimmung aller beteiligten Behörden sowie passende Ausrüstung und Bewaffnung der Soldaten.

Und am besten überlegt sich die Bundesregierung dann auch von vorneherein, wie sie aus einem derartigen Einsatz wieder herauskommt. An einer solchen Exit-Strategie hat es nämlich in Afghanistan gefehlt.

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