Fahren, Funken, Feuern
Die Technische Schule des Heeres in Aachen wird von der Zeitenwende gefordert. loyal hat sich vor Ort ein Bild gemacht.
Sie sind der wichtigste und gleichzeitig schwächste Teil der Technischen Schule des Heeres (TSH): abgenutzte Arbeitshallen im Rückraum der Lützow-Kaserne in Aachen. Dort findet sich das gesamte Gerät der Bundeswehr für den Kampf am Boden, um daran Gesellen und Meister der Technik als Instandsetzer auszubilden. Ohne diese kann eine hoch mechanisierte Streitkraft wie die Bundeswehr nicht existieren. Doch die „belgischen Hallen“, wie sie von den Soldaten genannt werden, stammen noch aus der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals zog die belgische Besatzungsarmee in die Lützow-Kaserne. Die letzte Renovierung gab es Anfang der 1960er-Jahre, als die Bundeswehr den Standort übernahm. Die Zeitenwende bringt diese Infrastruktur nun an ihre Grenze. Das kommende Kriegsgerät wird schlicht zu groß. So benötigt der Schwere Waffenträger Infanterie eine acht Meter hohe Halle mit Kran, um den Turm abnehmen zu können. Dafür sind die jetzigen Hallen zu niedrig.
Solche Probleme anzugehen, ist die Aufgabe von Oberst Stephan Kurjahn – seit Jahresbeginn Kommandeur der Technischen Schule. Der 55-Jährige ist laut seiner Verwendungsvita Rüstungsspezialist. Unter anderem war er Referent der Nachtwei-Kommission zum G36-Skandal und zuletzt stellvertretender Leiter der Taskforce Optimierung Beschaffungswesen. Kurjahn im Gespräch mit loyal: „Wir haben eine Musterausbildungshalle konzipiert, die universal für alle Landsysteme der Bundeswehr adaptierbar ist.“ In Standardgebäuden sieht er generell ein großes Potenzial, um bei der Erneuerung der Bundeswehr-Infrastruktur zügiger voranzukommen. Wenn die Streitkräfte bauen wollen, ist das stets herausfordernd. Das Infrastrukturamt der Streitkräfte muss das im Zusammenspiel mit den jeweiligen Landesbauverwaltungen durchführen. „Wenn sich Bundeswehr und alle Länder zum Beispiel auf einen Typ Instandsetzungshalle einigen, dann müsste nicht jede solcher Hallen einzeln geplant und durch das betreffende Bundesland genehmigt werden.“
1.000.000.000 Euro Investitionsbedarf
Für die gesamte Erneuerung der TSH hat Kurjahn bei der Heeresführung einen Investitionsbedarf von einer Milliarde Euro angemeldet, verteilt über die nächsten 15 Jahre. Ob diese Mittel kommen, ist noch unklar. Erneuert wurden bis dato erste Unterkunftsgebäude. Wer die Achsen der Lützow-Kaserne entlang läuft, sieht Backsteingebäude mit frisch eingesetzten Fenstern. Die Stuben dahinter haben jetzt „von-der Leyen-Standard“. Laut Soldaten vor Ort bedeutet dies eine neue und moderne Inneneinrichtung. Für eine Schule ist eine angemessene Unterbringung von zentraler Bedeutung. Immerhin braucht die Bundeswehr jedes Jahr technisch geschultes Personal in Brigadestärke aus der TSH, wo jährlich 6.500 Lehrgangsteilnehmer ausgebildet werden. Die längsten Lehrgänge dauern zwei Jahre, die kürzesten zwei Tage. Für die Ausbildung hat die Technische Schule 650 Mitarbeiter, die Mehrzahl davon Soldaten. Neben dem Hauptsitz Lützow-Kaserne verteilen sich die Ausbildungseinrichtungen noch auf drei weitere Kasernen in Aachen.
Die TSH heißt zwar „Technische Schule des Heeres“, bildet aber Personal aus der gesamten Bundeswehr aus. „Entscheidend ist, dass wir das Kompetenzzentrum für die technische Ausbildung an allen Landsystemen sind, beispielsweise auch für Transport-LKW und Stromaggregate, die auch bei Marine und Luftwaffe eingesetzt werden“, so Kurjahn. Die meisten Uniformträger unter den Lehrgangsteilnehmern kommen vom Heer: 80 Prozent. Die restlichen 20 Prozent gehören der Luftwaffe und der Marine an.
Neben der technischen Ausbildung hat die TSH noch einen zweiten Auftrag: Ihre Fachleute prüfen die Versorgungssicherheit von neuem Gerät, wie aktuell die des Schützenpanzers Puma S1. „Das bedeutet, wir testen, ob das gelieferte Werkzeug seinen Zweck erfüllt, die notwendigen Reparatur- und Wartungsanleitungen vorhanden sind und die Ersatzteilversorgung richtig aufgestellt ist“, erläutert TSH-Kommandeur Kurjahn.
Gesellen, Meister, Techniker
Beim Kernauftrag, der Schulung von Instandsetzern, geht es darum, die Rad- und Kettenfahrzeuge wie Boxer und Leopard-2 technisch zu verstehen und warten zu können. Allerdings gehören auch die Drohnen LUNA und KZO zum Ausbildungsprogramm. Es werden drei Typen Techniker ausgebildet: Unteroffiziere zu Gesellen, Feldwebel zu Meistern und Offiziersanwärter des militärfachlichen Dienstes zu staatlich geprüften Technikern. TSH-Kommandeur Kurjahn: „Geselle heißt, ich kann Teile an einem Waffensystem reparieren und austauschen. Der Meister hat den Systemüberblick und macht die Schadensdiagnose.“ Kurjahn nennt als Beispiel den Schützenpanzer Puma: „In drei bis vier Monaten schulen wir einen Feldwebel und Kfz-Meister zum Meister für dieses Waffensystem, dem Instandsetzungsfeldwebel. Bei diesen Spezialisten beginnt die Instandsetzungskette in einer Kampfkompanie der Panzergrenadiere. Fällt ein Puma aus, stellt der Instandsetzungsfeldwebel fest, ob das Gerät vor Ort repariert werden kann oder dafür zum Versorgungsbataillon der Brigade muss.“
Für diesen Bedarf der Truppe gibt es an der TSH zwei Lehrgruppen. Die künftigen militärfachlichen Offiziere erhalten ihren Schliff an der Fachschule für Technik der TSH. Diese Soldaten erlangen ein besonders tiefes Verständnis für die Technik der Waffensysteme. Sie arbeiten später vor allem in Rüstungsdienststellen wie dem Beschaffungsamt. Daneben hat die TSH noch ein besonderes Rekrutierungswerkzeug – die Ausbildungswerkstatt Heer. Dort werden zivile Lehrlinge zu Mechatronikern und Elektrikern ausgebildet. „Die jeweils zwölf Ausbildungsstellen kriegen wir immer besetzt. Die Hälfte bewirbt sich nach der Ausbildung bei der Bundeswehr“, so Oberst Kurjahn.
Die Anforderungen an Techniker für das Militär ändern sich. Der Anteil an Elektronik und IT in den Fahrzeugen steigt rasant. Das heißt, statt der Reparatur wird die präzise Diagnose immer wichtiger, wo welches Teil oder Netzwerk defekt ist, um das entsprechende Teil rasch auszutauschen. Um dem gerecht zu werden, setzt die TSH auf modernste Technik. In einer der alten Ausbildungshallen steht Hörsaalleiter Oberfähnrich Peter vor dem neuen Brückenlegepanzer Leguan. „Eines der zurzeit anspruchsvollsten Geräte. Hier kommen Mechanik, Hydraulik und viel Elektronik zusammen.“
Noch vor Kurzem hätte Peter mit jedem Azubi einzeln in das Turmluk klettern müssen, um im engen Innenraum die Lage von Ölpumpen und Co. zu erläutern. Jetzt setzten die Lehrgangsteilnehmer vor dem Leguan eine Augmented Reality (AR)-Brille auf – zu Deutsch: erweiterte Realität. Damit wird der Brückenlegekoloss in Echtgröße zum durchsichtigen 3-D-Modell. „Mit dieser Ausbildungssimulation kann ich selbst tief verbaute Teile plastisch darstellen und die Auszubildenden danach suchen lassen. Nach meiner Erfahrung erhöht Augmented Reality massiv das Technikverständnis bei den Azubis,“ schwärmt Hörsaalleiter Peter. Der Leguan ist das erste Gerät, an dem mit AR ausgebildet werden kann. An der TSH hofft man, das zum Standard machen zu können. Von 2025 an erwartet die Schule zunehmend neues Gerät – vor allem für die Mittleren Kräfte, die aufgebaut werden.
Der Ausblick von TSH-Kommandeur Kurjahn: „Das ist zusätzliches Gerät, das technisch komplexer ist als bisher. Hierzu müssen wir uns intern optimieren – ohne Forderungen nach neuen Dienstposten.“ Fakt ist: Im unter Aufwuchsdruck stehenden Heer, das zum Beispiel die Anzahl seiner Artilleriebataillone mehr als verdoppeln soll, sind Dienstposten Mangelware. „Wir schauen gerade, wie wir dafür Lehrgänge straffen können. Wir müssen unsere Gesellen, den Unteroffizieren, und unseren Meistern, den Unteroffizieren mit Portepee, mehr Verantwortung geben und auch wieder mehr zutrauen.“ Das zentrale Werkzeug für die Optimierung der Schulung ist für Kurjahn das digitale Ausbilden. Dies spare Zeit und Ressourcen, weil Lerninhalte über E-Learning umfassend verfügbar sind.
24-Stunden-Helpdesk für die Ukraine
Neben der Optimierung der Ausbildung auf neues Gerät ist die zweite große Herausforderung für die TSH die kriegstaugliche Schulung. „Wir müssen jetzt mehr auf Schnelligkeit in der Instandsetzung ausbilden. Und den Fokus auf die Vitalfunktionen eines Waffensystems legen: Fahren, funken, feuern“, so Oberst Kurjahn. Dazu gibt es Ausbildung unter widrigen Bedingungen wie Regen und Dunkelheit oder auch Werkzeugmangel. In Aachen wurden 2022 die ersten ukrainischen Soldaten an Gepard und Co. geschult, bevor das die Industrie übernahm. Seitdem unterhält die TSH einen 24-Stunden-Helpdesk zu Instandsetzungsfragen via Chat, Telefon oder Videocall. TSH-Chef Kurjahn: „Wenn einer der von uns geschulten Ukrainer eine Frage hat, meldet er sich, und wir versuchen das Problem zu lösen. Oft kommen die Anfragen von der Front. Wir stellen fest, dass der Helpdesk dann täglich genutzt wird, wenn sich das Kampfgeschehen intensiviert.“
Die Zeitenwende führt auch dazu, dass die Kooperation mit Partnern ausgebaut wird. An der TSH gibt es inzwischen eine niederländische Zelle mit Ausbildern und Gerät, damit das Heer der Niederlande in jenes der Bundeswehr integriert werden kann. Zurzeit wird eine vertiefte Kooperation mit den Streitkräften Litauens aufgebaut. Auch in Aachen selbst ist die Zeitwende spürbar. Das zeigte sich bei der diesjährigen 60-Jahrfeier der TSH, die mit dem Tag der Bundeswehr zusammenfiel. Oberst Kurjahn: „Wir hatten 23.000 Besucher. Das hat uns überrascht. Es zeigt ein hohes Interesse an der Bundeswehr.“