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Tod des Panzerkeks

Die Rückkehr zur Landes- und Bündnisverteidigung fordert auch die Verpflegungsplaner der Bundeswehr. Die Einmannpackung EPA muss mit der Zeit gehen. Ein Besuch beim Verpflegungsamt in Oldenburg mit einem Blick in die Pläne und in die Töpfe – und ins EPA der Zukunft.

Mechthild de Vries bei der Sensorikprüfung einer gefüllten Paprika. Geschmack, Geruch und Co. ergeben am Ende einen „Genusswert“. Mindestens der Grad vier auf einer Skala von eins bis fünf muss erreicht werden.

Foto: Stephan Pramme

bundeswehrverpflegungsamt

Ohne Mampf kein Kampf. Die alte Soldatenweisheit wird auch im Ukrainekrieg bestätigt. Im Netz kursierten Bilder von russischen Soldaten, die Supermärkte plünderten und von abgelaufenen Feldrationen ihrer Armee vom Schlachtfeld. Sinnbilder für den grotesken Beginn des russischen Feldzugs.

Auch die Bundeswehr-Herzkammer für Speis und Trank hat dieser Krieg erreicht: das Verpflegungsamt im niedersächsischen Oldenburg. „Flutkatastrophe, Kabul-Evakuierung und jetzt die Ukraine, das waren unsere jüngsten Herausforderungen“, sagt Manuel Keller im Gespräch mit loyal. Der Regierungsdirektor ist oberster Verpflegungsbeschaffer für Deutschlands Soldaten. Seit Kriegsauftakt wurden mehrere Tausend Tagesfeldrationen an die ukrainische Armee geliefert, bekannt als Einmannpackung – kurz EPA. Zusammengestellt nach NATO-Standard für 3.600 Kilokalorien am Tag aus Konserven zum Aufwärmen und zum kaltem Verzehr. Haltbar bestenfalls drei Jahre. Stand Redaktionsschluss hat Deutschland 360.000 EPA für die Soldaten der Ukraine geliefert. Bei der Flutkatastrophe und der Kabul-Evakuierung 2021 war die kurzfristige Bereitstellung die Herausforderung, weniger die Menge, so Keller. Mit Blick in die Zukunft muss das Verpflegungsamt allerdings seine logistischen Kapazitäten weiter ausbauen. Wie bei der Ausrüstung haben die Einsparjahrzehnte auch bei der Feldversorgung strukturelle Schwächen geschaffen.

In der Ära der Auslandseinsätze dümpelte die EPA-Produktion bei 250.000 Packungen jährlich. Gerade genug für kurzfristige Bedarfe in Afghanistan und anderen Missionen. Katastrophenhilfe oder große Truppenkörper an der Ostflanke waren nicht einkalkuliert. Für die Wiederkehr der Landes- und Bündnisverteidigung reicht das nicht mehr. Zur NATO-Speerspitze der Bundeswehr, der VJTF 2019, musste ein improvisiertes EPA beschafft werden, um die Lücke zu schließen, all-inclusive eingekauft bei einem Hersteller; erkennbar an der braunen Plastikeinschweißung statt dem grauen Karton. Die Zielmarke ist jetzt der Aufbau eines Lagerbestands von fünf Millionen EPA bis 2031. Von da an sollen im Jahr 700.000 der kompakten grauen EPA-Kartons mit Keks und Co. produziert werden.

„Die Zeiten der Veräußerung sind vorbei“

Genauso kompakt, voller Gänge und Büros, liegt der Backsteinbau des Verpflegungsamts mitten in Oldenburg, einst ein Hauptstandort der Bundeswehr. Deren Schrumpfung seit der Wende sieht, wer durch die Stadt fährt: Kasernen wurden in Mietshäuser und Einkaufszentren umgewandelt. Auch das Verpflegungsamt ist umgeben von verfallenden Lagerhallen aus den Zeiten der alten Bundesrepublik. Beim Gang über das Gelände deutet Verpflegungsamtschef Keller auf eine Fahrzeughalle: „Es gibt hierfür Interessenten aus der Nachbarschaft. Aber die Zeiten der Veräußerung sind vorbei.“ Im Gegenteil. Manuel Keller muss für das Projekt „Aufwuchs 31“ erweitern. Im Stadtgebiet sucht er deshalb Platz für den Bau einer großen Logistikhalle. Seit Kurzem nutzen die Verpfleger bereits eine ehemalige Coca-Cola-Fabrik in der Nähe. Mit Klimaanlage und weiteren technischen Anpassungen wird sie für die Fünf-Millionen-EPA-Zeit gerüstet. Hier ist auch eine größere teilautomatisierte Packstraße für die Feldrationenboxen geplant. Der Ansatz, die EPA künftig vollautomatisch vakuumzuverpacken, statt in Pappschachteln zu verpacken, wurde erst einmal verworfen. Versuche zeigten, dass sich Inhalte der EPAs dabei ineinanderschieben und beschädigen können.

Oberstabsfeldwebel Oliver Sekuli hat die EPA-Entwicklung unter seinen Fittichen. (Foto: Stephan Pramme)

Die Hege und Pflege der EPA-Landschaft ist Aufgabe von Oberstabsfeldwebel Oliver Sekuli. Neben diversen EPA-Tagesrationen für die Truppe gibt es noch solche für Spezialkräfte, Gruppen-EPA und Notfallrationen wie eine ABC-Nährflüssigkeit. Das ist eine der neuesten Baustellen Sekulis. „Die neue ABC-Maske hat einen Trinkhalm, für die eine anschließbare Packung entwickelt werden musste“, sagt Sekuli im Gespräch mit loyal. In ganz Europa fand sich nur ein Hersteller dafür. Nach zähen Verhandlungen kam die Bundeswehr auf einen Preis von 4,50 Euro pro Nährflüssigkeitspäckchen. Eine halbe LKW-Ladung davon orderte vor Kurzem die Bundeswehr-Battlegroup im litauischen Rukla.

Beef Jerky ein Renner in der Truppe

Zurzeit wird im Sachgebiet für Einsatzvorrat und Verpflegung am EPA ab 2025 getüftelt. Vier Jahre samt Ausschreibung dauert eine Überarbeitung. Klarer Sieger der letzten ist Beef Jerky – luftgetrocknete Rindfleischstreifen. „Die sind ein Renner in der Truppe und bleiben auf jeden Fall“, so Sekuli. Gerade analysiert er fluffige Energy Gums zum Kauen – eine Inspiration aus dem EPA der Kanadier, Nuss-Mix-Varianten und Ready-to-eat-Würstchen sowie Hacksteaks. Der Teufel steckt im Detail. Oliver Sekuli: „Beim Hacksteak bildet sich mit der Zeit ein weißer Fettrand. Ganz natürlich, aber für Soldaten, die war als Tester hatten, war das teils unappetitlich.“

Bis dato steht diese Neuheit fest: Beutel mit gefriergetrocknetem Nahrungspulver für Spezialkräfte zum Aufgießen mit heißem Wasser. Noch muss er am Aufschnitt zusammengerollt werden; künftig erhalten die Beutel einen Streifen zum Wiederverschließen. In die Standard-EPA kommt ein Squeezer mit Akazienhonig. Die bekannten Tütchen mit Getränkepulver würde Sekuli gerne gegen Tabletten tauschen. „Aber wir kriegen die Mineralien, die wir wollen, nicht in eine Tablette – bis jetzt bietet uns das kein Hersteller.“ Dabei hält der EPA-Fachmann nichts von extremen Vorgehensweisen. „Verpflegung über zehn Tabletten am Tag, wie es die Amerikaner prüfen, wird nicht funktionieren.“ Soldatenverpflegung müsse Heimat und Highlights bieten, und vor allem auch warme Zubereitungen, um Stimmung und Motivation zu erhalten, ist Sekuli überzeugt.

Muss die EPA-Produktion massiv ausweiten: Verpflegungsamtschef Manuel Keller im jüngsten Großlager für die Feldrationen – einer ehemaligen Coca-Cola-Fabrik im Herzen von Oldenburg. (Foto: Stephan Pramme)

Gerade bei der Gruppenverpflegung für 20 Frauen und Männer sei es wichtig, junge Truppenköche anzuleiten, damit sie die Inhalte der diversen Boxen frei mixen können. Der große Verlierer des künftigen EPA ist dessen Urgestein Hartkeks, bekannt auch als „Panzerkeks“. Die EU hat das bisher bei der Herstellung von Backwaren genutzte Speiseöl verboten. Die Zukunft gehört nun einem Biskuitkeks. Eine weitere Herausforderung kommt durch den Brexit. Das EU-Vergaberecht verlangt, öffentliche Ausschreibungen auf die EU zu fokussieren. Doch gerade im Vereinigten Königreich sitzen einige Hersteller von Militärverpflegung. Das heißt, für Nachfrager wie die Bundeswehr gibt es einen verringerten Bieterkreise, was den Preisdruck erhöht.

Franzosen legen Fokus auf mehr Qualität

Statt EU-weit zu beschaffen, fände EPA-Gestalter Sekuli einen Fokus auf Firmen mit Produktion in Deutschland besser. Dann ließe sich die Herstellung einfacher besichtigen und bewerten. Bis jetzt kommt die Masse der EPA-Produkte von Zwischenhändlern wie dem Unternehmen Orifo in Dänemark, das den Fisch für eine EPA-Beilage wiederum aus Thailand einführt. Sekuli verweist hier auf die Franzosen, die nach Angaben der dortigen Streitkräfte ihre „Ration de Combat Individuelle Réchauffable“ zu 90 Prozent über heimische Produzenten zusammenstellen. Allerdings ist die Ausgangslage eine andere. Deutsche wie Franzosen schreiben EU-weit aus. Doch beim Nachbarn westlich des Rheins hat Essen kulturell einen besonders hohen Stellenwert. Die Franzosen wenden grundsätzlich das Zuschlagskriterium 70 Prozent Qualität, 30 Prozent Preis an. Bei den Deutschen gilt fifty-fifty. Da Feldrationen für die Lebensmittelindustrie Nischenprodukte sind, kommen bei Linsen mit Toulouser Würstchen und Konsorten dann eben etablierte französische Hersteller wie Hénaff zum Zug. Für Oliver Sekuli wäre es ein Fortschritt, wenn die Bundeswehr auf eine Vorgabe 60 Prozent Qualität, 40 Prozent Preis hochgehe, um nicht so anspruchsvolle EPA-Bieter gleich auszuschließen.

Das „Technikum“ ist der Miniaturnachbau einer Truppengroßküche. Hier tüfteln die Ernährungsspezialisten des Verpflegungsamts an neuen Menüs. (Foto: Stephan Pramme)

Während es beim EPA darum geht, möglichst viel Energie in das Essen zu packen, ist genau das Gegenteil – nämlich „energiereduziertes Essen“– in den 244 Truppenküchen das große Thema. Mit 20 Millionen Mahlzeiten im Jahr sind sie das zweite große Aufgabenfeld des Verpflegungsamts. Die Küchen ordern ihren Bedarf selbst aus Rahmenverträgen, doch die Gerichte der Menüpläne kreiert Jessica Lübben im Sachgebiet Konzeption Verpflegung. Sie ist Diplom-Ökotrophologin und verfügt damit über eine Expertise, die Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaften vereint. „Der neue Goldstandard sind nicht hoch verarbeitete Lebensmittel wie Nüsse oder Gemüsebratlinge“, erläutert Jessica Lübben im Gespräch mit loyal. Seit 2018 arbeitet die Bundeswehr gezielt daran, die Truppe auf eine gesündere Ernährung zu trimmen. Dazu wird jeden Tag ein so genanntes Fitnessgericht gegen Schnitzel und Co. in den Kampf geschickt – beispielsweise Paprikaschoten mit Naturreis. Das aber ist ein zähes Unterfangen.

Fitnessmahlzeiten auf Tellern mit grünem Rand

Vier Jahre später nutzen 20 Prozent der Kantinenbesucher das Angebot, so Jessica Lübben. Die Ambition ist es nicht, kalorienhaltige Klassiker abzuschaffen, sie sollen jedoch peu à peu vom Zentrum der Speisekarte an ihren Rand gedrängt werden. Um die Troupiers zu animieren, setzten die Lebensmittelexperten des Verpflegungsamts auch auf Methoden des sogenannten „Nudging“ – zu Deutsch: Schubsen. Darunter versteht man vor allem das Setzen von Kaufanreizen, wie das Platzieren von Lollis im Supermarkt auf Kinderhöhe. Bei der Bundeswehr werden die Fitnessmahlzeiten auf Tellern mit grünem Rand platziert, um die Nachricht zu senden, hier zuzugreifen, da es besonders gesund ist.

Alles, was Bundeswehrangehörige essen, muss vorher durch die Sensorikprüfung, das ureigenste Metier von Mechthild de Vries. Die Regierungsamtfrau ist ebenfalls Diplom-Ökotrophologin. Mit ihrem Team testet sie die Produkte in den Kategorien Beschaffenheit, Aussehen, Konsistenz sowie Geruch und Geschmack. Am Ende muss auf einer Skala von eins bis fünf mindestens ein „Genusswert“ von vier erreicht werden.

Das Ganze passiert im so genannten Technikum, dem Nachbau einer Truppengroßküche mit einem steril-weißen Testraum. Hier wird die gefüllte Paprika, die ein Lieferant anbietet, unter Bundeswehrbedingungen zubereitet und von de Vries dann befühlt, gerochen und bedächtig verspeist. „Abneigungen gegen bestimmte Nahrungsmittel sind ein No-Go; die muss man sich als Prüfer ab­erziehen“, so de Vries. Marken dürfen auch keine Rolle spielen. Angebotenes muss anonym getestet werden. Bei gewissen Produkten ist das in der labelhörigen Konsumgesellschaft ein Problem. So verlangt die Truppe stets Nutella. Allerdings testen de Vries und Kollegen alle möglichen Nuss-Nougat-Cremes. Und ab und zu gibt es auch andere Gewinner.

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