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Tod in Baghlan

Wäh­rend eines Ge­fechts mit den Ta­li­ban am Kar­frei­tag 2010 fie­len in der nord­af­gha­ni­schen Pro­vinz Kun­duz drei deut­sche Sol­da­ten. Wenig spä­ter kamen vier wei­te­re in der Nach­bar­pro­vinz Baghlan ums Leben. Im Ge­gen­satz zu Kun­duz fan­den die Ope­ra­tio­nen in Baghlan kaum Be­ach­tung in den Me­di­en. Ilja Sper­ling war als Scharf­schüt­zen-Trupp­füh­rer an Ort und Stel­le. Ex­klu­siv für loyal hat er jetzt seine Er­leb­nis­se in Baghlan auf­ge­zeich­net. Der Text ist ein Do­ku­ment der mi­li­tä­ri­schen Zeit­ge­schich­te.

Der Scharf­schüt­zen­trupp des Au­tors bei der Be­ob­ach­tung des Vor­felds am OP North.

Foto: Ilja Sper­ling

Af­gha­ni­stanbaghlanein­satzisaf

Für die um­fang­rei­che Be­richt­erstat­tung über die Ge­scheh­nis­se in Kun­duz 2010 gibt es gute Grün­de: Jour­na­lis­ten konn­ten das dor­ti­ge Feld­la­ger per Hub­schrau­ber er­rei­chen. Es exis­tier­te Vi­deo­ma­te­ri­al von Helm­ka­me­ras der am Kun­duz-Ge­fecht be­tei­lig­ten Sol­da­ten. Bun­des­wehr-Me­di­en und das Zen­trum für Mi­li­tär­ge­schich­te und So­zi­al­wis­sen­schaf­ten der Bun­des­wehr be­rei­te­ten in mehr­sei­ti­gen Be­rich­ten das Ge­fecht auf, das als „Kar­frei­tags­ge­fecht“ in die Ge­schich­te ein­ging. Die Ope­ra­tio­nen der Bun­des­wehr in Baghlan fan­den hin­ge­gen kaum Be­ach­tung. Als Scharf­schüt­ze und Pan­zer­gre­na­dier war ich dabei und möch­te mit die­sem Be­richt zei­gen, wie es zu den Ge­fal­le­nen in Baghlan kam.

Hin­ter­grund für die Ope­ra­tio­nen in Baghlan war die „Surge“ ge­nann­te kurz­fris­ti­ge Trup­pen­auf­sto­ckung um 30.000 US-Sol­da­ten, die der da­ma­li­ge Prä­si­dent Ba­rack Obama im Spät­herbst 2009 be­fahl. Das Ziel: Die zü­gi­ge Sta­bi­li­sie­rung des Haupt­kriegs­schau­plat­zes Süd-Af­gha­ni­stan, um in­mit­ten der Welt­wirt­schafts­kri­se den US-Trup­pen­ab­zug aus dem kos­ten­in­ten­si­ven und in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten un­be­lieb­ten Krieg ein­zu­lei­ten. Doch das ame­ri­ka­ni­sche Kal­kül ging nicht auf. Den USA fiel es immer schwe­rer, ihre Trup­pen in Süd-Af­gha­ni­stan über die eta­blier­te Pa­ki­stan-Route vom See­ha­fen Ka­rat­schi aus zu ver­sor­gen. Ihre ge­leas­ten Last­wa­gen wur­den immer öfter über­fal­len. Spä­ter ent­schied Pa­ki­stan sogar, als Ver­gel­tung für US-Droh­nen­an­grif­fe im ei­ge­nen Land die wich­ti­ge Ver­sor­gungs­rou­te zeit­wei­se zu sper­ren. Das mach­te den Land­weg von Nord-Af­gha­ni­stan durch den Kun­duz-Baghlan-Kor­ri­dor im deut­schen Ver­ant­wor­tungs­be­reich zur wich­tigs­ten Ver­sor­gungs­li­nie für die US-Of­fen­si­ve im Süden.

Der Autor (l.) mit Ka­me­rad beim Waf­fen­rei­ni­gen im Stütz­punkt Khi­lag­ay, Pro­vinz Baghlan.

In der Folge in­ten­si­vier­ten die Ta­li­ban auch ihre At­ta­cken im Nor­den. Die Schnel­le Ein­greif­trup­pe Quick Re­ac­tion Force (QRF) im ISAF-Re­gio­nal­kom­man­do Nord, eine Art ro­bus­te „Feu­er­wehr“ gegen An­grif­fe, wurde seit 2008 von der Bun­des­wehr ge­stellt: zwei Kom­pa­ni­en In­fan­te­rie mit ein paar Schüt­zen­pan­zern Mar­der. Eine Kom­pa­nie be­stand aus zwei Zügen Pan­zer­gre­na­die­ren mit je 36 Mann aus mei­nem Pan­zer­gre­na­dier­ba­tail­lon 401 in Ha­ge­now, er­gänzt durch einen Zug Jäger. Die kampf­star­ken Mar­der stan­den für die kom­men­den Ope­ra­tio­nen in Baghlan aber nie zur Ver­fü­gung, sie blie­ben stets in Kun­duz.

Ta­li­ban im „Nah­erho­lungs­ge­biet“

Dort ge­lang es durch in­ten­si­ve Ein­sät­ze, die Ta­li­ban zu­rück­zu­drän­gen, aber nicht nach­hal­tig zu ver­trei­ben. Sie wi­chen in die Nach­bar­re­gi­on Baghlan aus und dort in ein Vor­ge­bir­ge am Kun­duz-Fluss, an dem die Ver­sor­gungs­rou­te nach Süden ver­läuft. Von die­sem „Nah­erho­lungs­ge­biet“, wie wir es nann­ten (siehe Karte), at­ta­ckier­ten sie im Wo­chen­takt Pos­ten der af­gha­ni­schen Armee und Po­li­zei im Raum Baghlan, tö­te­ten Si­cher­heits­kräf­te, er­beu­te­ten Fahr­zeu­ge, Aus­rüs­tung und Waf­fen. In den wö­chent­li­chen Brie­fings deu­te­te sich an, dass das klei­ne Trai­nings­kon­tin­gent für die Af­gha­ni­sche Na­tio­nal­ar­mee (ANA) im nahen Pol-e-Khom­ri aus un­ga­ri­schen und ame­ri­ka­ni­schen Sol­da­ten der Lage nicht mehr ge­recht wurde. Des­halb er­hielt die Schnel­le Ein­greif-trup­pe im Ja­nu­ar 2010 den Auf­trag, diese Ge­gend in der Baghlan Pro­vinz zu er­kun­den. Dies soll­te als Grund­la­ge zum Auf­bau einer ver­stärk­ten ISAF-Prä­senz mit­tels vor­ge­scho­be­ner Au­ßen­pos­ten die­nen.

Die waf­fen­star­ren­den Hum­vees dwa­ren das MAr­ken­zei­chen der Spe­zi­al­kräf­te der US-Task­force 373 in Baghlan.

Hier zeig­te sich be­reits eine Schwä­che der Bun­des­wehr-Ope­ra­ti­ons­füh­rung: ein schlech­tes La­ge­bild. So soll­ten wir den Vor­pos­ten Khi­lag­ay süd­lich von Pol-e-Khom­ri be­set­zen. Das Ein­tref­fen in der Basis war ir­ri­tie­rend. Uns hatte man im Glau­ben ge­las­sen, im Vor­pos­ten gebe es nur einen klei­nen Trupp der af­gha­ni­schen Armee. Doch Khi­lag­ay war be­reits von star­ken ANA-Kräf­ten be­setzt. Auch ein Trupp ame­ri­ka­ni­scher Spe­zi­al­kräf­te der Task­force 373 be­fand sich an Ort und Stel­le. Deren Haupt­auf­trag war es, Füh­rungs­kräf­te der Ta­li­ban zu jagen und zu töten. Wir muss­ten un­se­re Zelte laut Be­fehl mit Schutz­wes­te und Helm auf­bau­en, ob­wohl wir uns in einem be­reits voll aus­ge­bau­ten Lager be­fan­den. Of­fen­sicht­lich war die Bun­des­wehr-Füh­rung über die Si­tua­ti­on vor Ort nicht im Bilde. Diese Un­klar­heit über die Lage soll­te uns auch über die fol­gen­den drei Mo­na­te Auf­ent­halt in Baghlan be­glei­ten.
Die nächs­te grö­ße­re Über­ra­schung war die Ope­ra­ti­on Taohid zur Ein­nah­me von drei Brü­cken über den Kun­duz-Fluss, die für An­fang März an­ge­kün­digt wurde. Statt nur zu er­kun­den, hat­ten wir auch eine grö­ße­re Of­fen­siv-Ope­ra­ti­on durch­zu­füh­ren. Mit Af­gha­nen, Un­garn und den US-Spe­zi­al­kräf­ten galt es, die Brü­cken in Baghlan zu neh­men. Dann soll­ten wir Brü­cken­köp­fe durch aus­ge­bau­te Kampf­stel­lun­gen „här­ten“. Ziel war es, die Aus­fall­to­re der Ta­li­ban vom „Nah­erho­lungs­ge­biet“ auf die Nach­schub­rou­te ab­zu­rie­geln. Skan­di­na­vi­sche ISAF-Ein­hei­ten hat­ten par­al­lel dazu den Auf­trag, die Ta­li­ban im Ge­birgs­zug nie­der­zu­kämp­fen.

Kein kla­res Bild über die Ope­ra­tio­nen

Ein kla­res Bild über die Agen­da un­se­rer Ope­ra­tio­nen hat­ten wir da­mals nicht. Un­se­re Order er­hiel­ten wir von un­se­rem obers­ten Vor­ge­setz­ten vor Ort, einem Major in Khi­lag­ay. Doch ohne An­ga­ben zur Ver­weil­dau­er und den Ab­sich­ten vor Ort. Wir hat­ten den Ein­druck, dass die Ope­ra­ti­ons­füh­rung nicht bei der QRF lag, son­dern an an­de­rer Stel­le und wir nur Er­fül­lungs­ge­hil­fen waren. Der da­ma­li­ge Kom­man­deur der Schnel­len Ein­greif­trup­pe – ein Oberst – hatte bei uns den Spitz­na­men „Gru­ß­on­kel“, weil wir ihn wäh­rend der ge­sam­ten Zeit nur aus der Ferne win­kend zu Ge­sicht be­ka­men.

Ge­ne­rell wirk­te das Agie­ren un­se­rer obers­ten Ein­satz­füh­rung wenig ziel­ge­rich­tet. Neben der Vor­be­rei­tung auf die Ope­ra­ti­on Taohid und Quick-Re­ac­tion-Be­reit­schaft war un­se­re Ein­greif­trup­pe Mäd­chen für alles im Re­gio­nal­kom­man­do Nord. Immer wie­der wur­den Züge, manch­mal auch die ge­sam­te Kom­pa­nie, für an­de­re Auf­trä­ge ab­ge­zo­gen. Etwa für eine Tour in einen von ISAF-Kräf­ten seit Som­mer 2009 nicht mehr be­tre­te­nen Di­strikt im äu­ßers­ten Nor­den. Dort soll­ten wir den Be­such eines US-Ge­ne­rals in einer Po­li­zei­sta­ti­on ab­si­chern. Bun­des­wehr-Kräf­te aus Kun­duz als auch aus Feyz­a­bad wären zü­gi­ger dort ge­we­sen. Uns kos­te­te die ge­sam­te Tour drei volle Tage samt Mör­ser­be­schuss und rund einem Dut­zend neu ver­leg­ter Spreng­fal­len auf dem ur­sprüng­lich an­vi­sier­ten Ab­marsch­weg. Oft hol­ten wir Fern­mel­de­kräf­te ab, um sie im Feld an Ein­hei­ten zu über­ge­ben. Es blieb ab­wechs­lungs­reich, aber ohne roten Faden mit kla­rer Füh­rung über die Zug-Ebene hin­aus.

Üb­li­ches Nacht­la­ger bei Ein­sät­zen im Feld.

Einen Gro­ß­teil der Zeit ver­brach­ten wir im Feld. Zum Schla­fen bil­de­ten wir Wa­gen­bur­gen oder schlie­fen gleich auf un­se­ren Din­gos. Wegen stän­dig neuer Auf­trä­ge ließ sich die ma­xi­ma­le Ein­satz­dau­er von 72 Stun­den vor einer Ru­he­pha­se in einer Basis fast nie ein­hal­ten. Wir muss­te sie mit Tricks „zu­rück­set­zen“, indem wir zum Bei­spiel an ver­ein­bar­ten Ren­dez­vous-Punk­ten im Nir­gend­wo Was­ser und Ver­pfle­gung di­rekt vom Ver­sor­gungs-LKW auf­stock­ten. Es dau­er­te über einen Monat, bis wir in der vor­ge­scho­be­nen Ope­ra­ti­ons­ba­sis Khi­lag­ay mit mehr als nur Was­ser­fla­schen du­schen konn­ten. Erst Mitte Fe­bru­ar kamen ein zur Dusch­sta­ti­on um­funk­tio­nier­tes ABC-Rei­ni­gungs­zelt und Dixie-Klos. Über die­sel­be Zeit er­nähr­ten wir uns über EPA-Ta­ges­ra­tio­nen. Das hoch­wer­ti­ge Grup­pen-EPA zum Sel­ber­ko­chen gab es nur in Kun­duz. Wir be­gan­nen also früh, uns mit Gas­ko­chern und lo­ka­len Le­bens­mit­teln zu ver­sor­gen. Eben­so mit af­gha­ni­schen SIM-Kar­ten. Mit Letz­te­ren konn­ten wir güns­ti­ger SMS nach Hause schrei­ben als über den Rah­men­ver­trags­part­ner der Bun­des­wehr, des­sen Diens­te auch nur in den deut­schen Feld­la­gern funk­tio­nier­ten. Das Haupt­kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel war al­ler­dings ein alter MI-8 Hub­schrau­ber, der ab und an Wä­sche und un­se­re Brie­fe samt dem ab­ge­zähl­ten Porto-Klein­geld ab­hol­te.

Zum Ver­grö­ßern auf die Karte kli­cken. (Gra­fik: Kopp)

Die Ope­ra­ti­on Taohid zur Ein­nah­me der drei Brü­cken wurde immer wie­der ver­scho­ben. Af­gha­ni­sche Sol­da­ten kamen nicht aus dem Front­ur­laub zu­rück, so­dass wir „wie be­stellt, aber nicht ab­ge­holt“ mit den Un­garn und Ame­ri­ka­nern ta­ge­lang am Be­ob­ach­tungs­punkt Nord war­te­ten, einer An­hö­he an der Ver­sor­gungs­rou­te. Der OP North wurde in der Folge Aus­gangs­punkt aller Brü­cken-Ope­ra­tio­nen. Erst Ende März kam es zum ers­ten Ver­such, eine Brü­cke zu neh­men – die „Bas­hir-Khan-Bridge“. Al­ler­dings mit einem kru­den Pla­nungs­feh­ler. Unter De­ckung „sweep­te“ ein Zug von uns die Zu­fahrts­stra­ße. Das heißt, es wurde hän­disch mit Har­ken und Mi­nen­such­ge­rä­ten nach Spreng­fal­len ge­sucht – ein stun­den­lan­ges Un­ter­fan­gen. Auf dem Brü­cken­zu­brin­ger be­fand sich je­doch be­kann­ter­ma­ßen ein tie­fer Gra­ben. Die­ser war schon vor Tagen durch eine Spreng­fal­le ent­stan­den. Fahr­zeu­ge konn­ten die Stra­ße also nicht über­win­den. Wegen ge­flu­te­ter Reis­fel­der neben der Stra­ße, war es un­se­ren schwe­ren Din­gos und Rad­pan­zern Fuchs un­mög­lich, das Hin­der­nis zu um­fah­ren. Pio­nier­ge­rät und Ma­te­ri­al zum Auf­fül­len des Gra­bens hat­ten wir aber nicht dabei.

Der Scharf­schüt­zen­trupp des Auotrs gräbt sich an der „Bas­hir Khan Bridge“ ein, um den Vor­marsch auf die Brü­cke ab­zu­si­chern.

Für den Fol­ge­tag wurde ein wei­te­rer Ver­such an­ge­setzt, dies­mal mit Un­ter­stüt­zung eines Tief­bau-Tros­ses der Af­gha­nen samt Kies auf einem An­hän­ger. Be­fehl vom Zug­füh­rer: „Dar­auf ein­stel­len, dass wir über Nacht blei­ben!“ Wäh­rend die Stra­ße er­neut ges­weept wurde, grub sich mein Scharf­schüt­zen­trupp im Stra­ßen­gra­ben in der rech­ten Flan­ke ein. Un­se­re Pan­zer­auf­klä­rer im Vor­feld mel­de­ten gegen Mit­tag Per­so­nen in Trupp­stär­ke. Die ver­schwan­den in einem Ge­höft. Kurz dar­auf ge­rie­ten die swee­pen­den Sol­da­ten von dort aus unter Ma­schi­nen­ge­wehr-Feuer. Die Ver­bün­de­ten for­der­ten Luft­na­h­un­ter­stüt­zung an. Mit­ten im Ge­fecht er­reich­te uns plötz­lich ein neuer Be­fehl über Funk: „Alle auf­sit­zen! Wir wei­chen aus. Das Ein­satz­füh­rungs­kom­man­do fragt sich, was uns ein­fällt, an of­fen­si­ven Ope­ra­tio­nen an­de­rer Streit­kräf­te teil­zu­neh­men.“ Mir klingt der Satz noch heute in den Ohren. So zogen wir Deut­schen uns zu­rück. Bis zum Abend hör­ten wir das Ge­fech­te um die Brü­cke. Ge­nom­men wurde sie an jenem Tag nicht.

Die „Roman Bridge“ er­hielt ihren Namen wegen der antik wir­ken­den Bo­gen­bau­wei­se.

Statt­des­sen setz­ten wir nun auf die „Roman-Bridge“ an, nur rund zwei Ki­lo­me­ter vom OP North ent­fernt. Dabei rie­gel­ten wir eine klei­ne Ort­schaft vom Ope­ra­ti­ons­ge­biet ab, wobei etwas Denk­wür­di­ges pas­sier­te. Vor un­se­rer Stra­ßen­sper­re sam­mel­ten sich die Dorf­be­woh­ner, die von ihren Fel­dern zu­rück­kehr­ten. Diese be­schwer­ten sich bei den af­gha­ni­schen Sol­da­ten. Ein Sol­dat bat mich, die An­woh­ner durch­zu­las­sen, was ich mit Ver­weis auf meine Be­fehls­la­ge ab­lehn­te. Nach ei­ni­gem Hin- und Her zwi­schen mir, ihm, sei­nen Vor­ge­setz­ten, mei­nem Zug­füh­rer und den US-Spe­zi­al­kräf­ten tauch­te ein ame­ri­ka­ni­scher Of­fi­zier vor mir auf: „I’m Major Mike, this is my fuck­ing Ope­ra­ti­on. I’ve tal­ked to your Co­lo­nel.“ Er sagte, ich soll die Leute ein­zeln durch­su­chen und dann durch­las­sen. Nie habe ich mich als deut­scher Sol­dat so ge­schämt wie in die­sem Mo­ment, in dem ein hö­he­rer Of­fi­zier der Spe­zi­al­kräf­te mir einen Auf­trag er­teil­te. Für un­se­re Be­tei­li­gung an den Ope­ra­tio­nen war es be­zeich­nend. Wir fuh­ren ein­fach nur mit. Ir­gend­je­mand be­fahl: „Dort­hin!“, und ir­gend­je­mand an­ders be­fahl spä­ter: „Nee, doch nicht!“. In un­se­rer „Khi­lag­ay-Hymne“ heißt es: „ANA denkt, jetzt geht hier was, denn QRF ver­steht kein Spaß. Da irrn‘ sie sich, wir ham‘ nicht viel. Die Trup­pe rollt, auch ohne Ziel.“

Keine An­griffs­be­we­gung wie aus dem Lehr­buch: Sol­da­ten der af­gha­ni­schen Armee mit ISAF-Kräf­ten gehen auf die „Dutch Bridge“ vor.

Eine Woche spä­ter ver­such­ten wir uns dann an der so ge­nann­ten „Dutch-Bridge“. Es waren nur noch we­ni­ge Tage bis zu un­se­rem Kon­ting­ent­wech­sel. Ka­me­ra­den aus Feyz­a­bad kamen zur Un­ter­stüt­zung, In­fan­te­ris­ten und Men­to­ren des dor­ti­gen Wie­der­auf­bau­teams. Die Pan­zer­auf­klä­rer waren be­reits weg und mit ihnen die Droh­ne Luna – unser wirk­sams­tes Mit­tel zur Vor­feld­be­ob­ach­tung. Neben der Auf­klä­rung fehl­ten er­neut ei­ni­ge af­gha­ni­sche Sol­da­ten. Ob die Ent­schei­dung zum An­griff un­se­re Füh­rung in Masar-e Scha­rif traf oder ob sie auf Druck der Ame­ri­ka­ner er­folg­te – ich weiß es bis heute nicht. Aber nie­mand von den Kräf­ten vor Ort hatte dabei ein gutes Ge­fühl. Der Weg am Fluss war für un­se­re Fahr­zeu­ge zu eng. Wir lagen wie auf dem Prä­sen­tier­tel­ler. Von vorne und von rechts kam plötz­lich Be­schuss durch Hand­feu­er­waf­fen und Ar­til­le­rie der Ta­li­ban. Aber ohne Droh­ne konn­ten wir deren Stel­lun­gen nicht auf­klä­ren. Wir muss­ten den An­griff ab­bre­chen. Bei Ein­bruch der Dun­kel­heit wur­den wir los­ge­schickt, um mit un­se­rem Arzt­trupp einen schwer ver­wun­de­ten af­gha­ni­schen Sol­da­ten auf­zu­sam­meln. Er ver­starb ei­ni­ge Tage spä­ter. Einer der US-Spe­cial­forces er­litt einen Hals­durch­schuss.

Auf dem Prä­sen­tier­tel­ler für Ar­til­le­rie-Be­schuss der Ta­li­ban: Bun­des­wehr-Fahr­zeu­ge auf der schma­len Stra­ße zur „Dutch Bridge“.

Am 2. April 2010, als das Kar­frei­tags­ge­fecht bei Kun­duz be­gann, be­fan­den wir uns in Khi­lag­ay. Wir rei­nig­ten unser Gerät und be­rei­te­ten uns gut ge­launt auf die Rück­ver­le­gung nach Masar-e Scha­rif vor. Fünf­ein­halb Mo­na­te hat­ten wir ohne Schä­den über­lebt, und in zwei Wo­chen stand der Heim­flug an. Erst abends, als die Mel­dung vom drit­ten Ge­fal­le­nen bei uns ein­traf, er­hiel­ten wir als Kom­pa­nie den Marsch­be­fehl nach Kun­duz. Wir über­nah­men für meh­re­re Tage die Raum­ver­ant­wor­tung, damit die be­trof­fe­ne In­fan­te­rie-Kom­pa­nie sich von ihren Ge­fal­le­nen ver­ab­schie­den und neu sor­tie­ren konn­te. Bei uns blieb es ruhig, auch wenn wir selbst – stark un­ter­be­setzt und von den Er­eig­nis­sen er­schüt­tert – es nicht waren. Dann kam der 15. April. An der „Dutch-Bridge“, auf die wir Ende März noch er­folg­los an­ge­setzt hat­ten, fuh­ren die Ka­me­ra­den aus Feyz­a­bad auf eine Spreng­fal­le. Die af­gha­ni­sche Armee hatte die Zu­fahrt nach ei­ge­nen An­ga­ben zuvor er­folg­reich ges­weept. Die Ge­fal­le­nen be­fan­den sich nicht im Fahr­zeugin­nern, son­dern fuh­ren außen via Tritt­brett bei dem ge­pan­zer­ten MOWAG Eagle mit. Der im An­schluss an­rü­cken­de Arzt­trupp wurde von hin­ten von einer Pan­zer­ab­wehr-Gra­na­te ge­trof­fen. Ein Arzt ver­brann­te im Fahr­zeug.

Drei Tage spä­ter tru­gen wir die Särge un­se­rer Ka­me­ra­den in die Transall. Es wären ei­gent­lich un­se­re Särge ge­we­sen. Wäre das Kar­frei­tags­ge­fecht nicht pas­siert, hätte die Spreng­fal­le in Baghlan wohl uns und nicht die Ka­me­ra­den aus Feyz­a­bad er­war­tet. Auch zehn Jahre spä­ter spricht selbst die Bun­des­wehr-Re­dak­ti­on nur von einer „Pa­trouil­le in Baghlan“. Die Ope­ra­ti­on Taohid – eine der frü­hes­ten Epi­so­den deut­scher Auf­stands­be­kämp­fung – ist durch die Bun­des­wehr bis heute kaum do­ku­men­tiert. Be­trach­tet man die Plan- und Füh­rungs­lo­sig­keit beim Ein­satz der Quick Re­ac­tion Force in Baghlan, ist es viel­leicht auch nur eine Art be­schäm­tes Ver­ges­sen.

Der Autor
Ilja Sper­ling war 2008 und 2010 im Af­gha­ni­stan-Ein­satz. 2014 ver­ließ er die Bun­des­wehr. Heute ar­bei­tet er als IT-Spe­zia­list. Er gibt hier ei­ge­ne Er­leb­nis­se und seine per­sön­li­che Mei­nung wie­der.

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