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Krisen & Konflikte

Trügerische Ruhe nach dem Waffengang

Die Hamas verübt seit 1993 Selbstmordattentate gegen israelische Zivilisten und Soldaten. Sie wird von Israel, den USA und der Europäischen Union als terroristische Organisation eingestuft, die die „Zerstörung Israels“ zu ihrem Ziel erklärt hat. Die Hamas erkennt Israel als Staat nicht an und fordert einen Palästinenserstaat auf dem gesamten Gebiet des historischen Palästinas.

Bewaffneter Kämpfer der Hamas.

Foto: Imago

loyalNaher Osten

Nach Angaben der israelischen Streitkräfte feuerten Kämpfer der Hamas und des Islamischen Dschihad zwischen dem 10. und dem 21. Mai mehr als 4.340 Raketen auf Israel ab. Durch diesen Raketenbeschuss und die militärische Antwort Israels darauf starben Zivilisten und Kinder auf beiden Seiten. Die israelischen Streitkräfte reagierten auf den Raketenbeschuss mit Luft- und Artillerieangriffen auf den Gazastreifen. Diese richteten sich nach eigenen Angaben gegen militärische Einrichtungen der Hamas, darunter das weit verzweigte Tunnelnetz, Produktionsanlagen für Raketen und Schaltzentralen der Hamas und des Islamischen Dschihad. Vieles davon haben die palästinensischen Kämpfer bekanntermaßen unter zivilen Einrichtungen und zwischen Wohnhäusern versteckt.

Einen Raketenbeschuss dieser Intensität hat Israel noch nie erlebt. Während des letzten Gazakriegs im Jahr 2014 hatte die Hamas innerhalb von 50 Tagen 4.000 Raketen auf Israel abgefeuert. Die meisten dieser Raketen erreichten damals lediglich den Süden des Landes. Die Hamas verfügte noch nicht über Raketen mit einer Reichweite, die Tel Aviv oder Jerusalem hätten treffen können.

Raketen aus eigener Produktion

Die Hamas hat aktuell Kurz- und Mittelstreckenraketen der Typen Kassam, Quds 101 sowie eine Vielzahl iranischer Fadschr und M-302 im Arsenal, die eine Reichweite von bis zu 200 Kilometern erreichen und alle Bevölkerungszentren in Israel treffen können. Bis vor ein paar Jahren wurden die Raketen der Hamas fast ausschließlich aus dem Iran auf dem Seeweg oder über die Grenze zwischen der ägyptischen Sinai-Halbinsel und Gaza eingeschmuggelt. Mittlerweile stammt ein großer Teil des Raketen-Arsenals in Gaza aus hoch entwickelten Produktionsstätten der Hamas selbst. Wichtige Geldgeber und ausländische Verbündete für die Hamas sind Katar, der Iran und die Türkei. Hinzu kommen zahlreiche nichtstaatliche Initiativen und Vereine, auch aus Deutschland.

Das von der Organisation seit Jahren ausgebaute weitläufige Tunnelsystem mit Verbindungswegen, Bunkern, Waffenwerkstätten, Waffenlagern sowie Nachschub- und Fluchtrouten wird im israelischen Militär als „U-Bahn“ Gazas bezeichnet. Diese Tunnel verlaufen innerhalb des Gazastreifens und unter der Grenze zu Ägypten. Über diese werden seit Jahren Waffen, Munition und Materialien geschmuggelt, die der Hamas zur Produktion von Tausenden von Raketen dienen, die sie gegen Israel einsetzt. Daneben haben die Hamas-Kämpfer auch Tunnel gegraben, die direkt auf israelisches Territorium führen, um dort Terroranschläge und Entführungen auszuführen. Seit die Hamas 2007 in Gaza an die Macht kam, hat sie umfassend in dieses aufwändige unterirdische System investiert und es als einen strategischen Vorteil in der asymmetrischen Kriegsführung gegen Israel perfektioniert.

Fatah und Hamas im Wahlkampf

Die Raketenangriffe auf israelische Ziele fielen in eine politisch hochsensible Zeit, da sich die beiden palästinensischen Rivalen Fatah und Hamas im Wahlkampf zur geplanten palästinensischen Parlamentswahl am 22. Mai 2021 befanden.  Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verfügte bereits am 30. April eine Verschiebung der Wahlen. Als Grund nannte er einen „Streit mit Israel über die Möglichkeit, die Wahlen auch für die in Ostjerusalem lebenden Palästinenser durchzuführen“. Von zahlreichen Experten wurde diese Begründung als Vorwand angesehen; das eigentliche Hauptmotiv für diese Verschiebung seien eher die sich verschlchternden Wahlaussichten der Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Abbas. Die rivalisierende Hamas protestierte scharf gegen eine Verschiebung der Wahl. Seit 15 Jahren hat es in den Palästinensergebieten keine Parlamentswahl mehr gegeben. Der heute 85-jährige Präsident Abbas war 2005 nur für eine Amtszeit von vier Jahren zum Präsidenten gewählt worden und regierte nach Ablauf dieser Zeit ohne Mandat weiter. Verbunden waren die Wahlen mit der Hoffnung auf eine Versöhnung der Fatah, die im Westjordanland regiert, mit der im Gazastreifen herrschenden Hamas.

Noch vor wenigen Monaten hatten die vier arabischen Staaten Bahrain, Vereinigte Arabische Emirate (VAE), Marokko und der Sudan ihre Beziehungen zu Israel normalisiert, nun sind diese Staaten massivem innenpolitischem Druck ausgesetzt. Diese vier arabischen Länder versprechen sich viel von der Kooperation mit Israel in den Bereichen Sicherheit, Geheimdienste, Rüstung, Handel und medizinische Forschung. Auch in diesen arabischen Staaten gab es im Mai zahlreiche Demonstrationen gegen Israel, und Israelfahnen wurden dabei verbrannt. Die VAE und Bahrain unterzeichneten im Mai eine Erklärung der Organisation Islamischer Staaten (OIC), die von „systematischen Verbrechen“ Israels sprach.

Sicherheitslage bleibt fragil

Seit der Nacht auf den 21.Mai gilt im kriegerischen Konflikt zwischen der palästinensischen Hamas und Israel eine Waffenruhe. Kurz vor Beginn der Waffenruhe hatten Kämpfer der Hamas noch Raketen in Richtung Südisrael abgefeuert. Die Hamas versucht sich nun als „Siegerin der Schlacht“ zu inszenieren. Die Waffenruhe sei ein „Sieg für das palästinensische Volk“ und „eine Niederlage für Netanyahu“, erklärte die Hamas. Dazu veröffentlichte sie als Beleg ihrer Kampfbereitschaft ein Video von Kämpfern, die Raketen durch Tunnel tragen. Wenige Tage nach Beginn dieser Waffenruhe wurden in Jerusalem zwei Israelis niedergestochen und schwer verletzt, einer der beiden ist Soldat. Die Sicherheitsbehörden gehen von einem islamistisch-terroristischen Hintergrund aus. Die Ruhe nach dem Waffengang im Mai ist trügerisch, die Sicherheitslage in Nahost bleibt fragil.

Über den Autor

Prof. Dr. Stefan Goertz ist Oberstleutnant d.R. Der Politikwissenschaftler lehrt an der Hochschule des Bundes, am Fachbereich Bundespolizei, in Lübeck. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

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