Türkei – die neue Großmacht in Afrika
Ankara versucht das Vakuum auszufüllen, dass Europa mit seinen – erzwungenen – Rückzügen aus afrikanischen Staaten hinterlassen hat. Dahinter steckt eine klare Strategie, den eigenen Einfluss auszudehnen. Deutschland und Frankreich können dem Aufstieg der Türkei auf dem Kontinent nur zuschauen.
Als der bitterarme westafrikanische Niger 2019 einen Gipfel der Afrikanischen Union ausrichten wollte, brauchte es dringend einen neuen Flughafen und Hotelkapazitäten für Dutzende anreisende Staatschefs und ihrem Gefolge. Die Türkei sprang kurzfristig ein und errichtete einen neuen Terminal für den Flughafen Niamey, inklusive Lounge für Turkish Airlines, sowie das Hotel Radisson Blu. In den Folgejahren bauten der türkische Staat und türkische Unternehmen die Beziehungen stark aus. Dies geschah zu einer Zeit, als nur wenige Experten in Deutschland und Europa Niger auf dem Schirm hatten. Turkish Airlines war auch eine der ersten Fluglinien, die nach dem Putsch in Niger im Juli 2023 die Flüge nach Niamey wieder aufnahmen.
Niger ist nur ein Beispiel in der Sahelregion und in ganz Afrika für ein stark wachsendes türkisches Engagement. Ankara hat anders als Deutschland und die westlichen Partner den Kontinent schon früh als Schwerpunkt entdeckt, um mehr Einfluss zu nehmen und den Handel auszubauen – die Türkei sieht in Afrika vor allem Chancen. Alles begann im August 2011 mit einem Besuch von Recep Tayyip Erdoğan, damals noch Ministerpräsident, im Bürgerkriegsland Somalia, das zudem gerade unter einer Hungersnot litt.
Die medial stark begleitete Reise half, den Somalia-Konflikt ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu bringen. Bereits im Folgejahr nahm Turkish Arlines die Flüge in die Hauptstadt Mogadischu auf, trotz einiger Sicherheitsbedenken. Es war die erste Mittelstreckenverbindung, seit das ostafrikanische Land 1991 in einer Gewaltspirale verfeindeter Milizen zusammengebrochen war. Somalia ist heute immer noch unsicher, aber türkische Unternehmer und Diplomaten gehen dort ein und aus. Kein Einzelfall: Hatte die Türkei 2002 nur zwölf Botschaften auf dem Kontinent, so waren es Ende 2022 nach Angaben des Außenministeriums schon 44.
Türkische Ziele: Wirtschaft und Soft Power
Die Türkei verfolgt mehrere Ziele mit ihrer Expansion in Afrika und dem Sahelraum. Die Wirtschaft zu Hause kriselt seit Jahren, und die türkische Lira hat stark an Wert verloren. Das verbilligt türkische Exporte und Dienstleistungen. Afrika ist nun ein neuer riesiger Absatzmarkt für türkische Unternehmen, der von europäischen oder amerikanischen Firmen zumeist links liegen gelassen wird. Das Radisson Blu in Niamey wird etwa von einer türkischen Firma betrieben, ebenso das beste private Krankenhaus, das Golden Life, in der malischen Hauptstadt Bamako.
Dank der Flüge von Turkish Airlines ist Istanbul von fast allen afrikanischen Hauptstädten zu erreichen. Visa brauchen viele Bürger afrikanischer Staaten für die Türkei nicht oder sind leicht zu erhalten. Die Folge: Wohlhabende Afrikaner etwa aus Mali oder Niger fliegen immer häufiger in den Urlaub oder zur medizinischen Behandlung in die Türkei. Sie sagen ganz offen, dass sie sich in der Türkei wohler fühlen als in Europa, wo die Visabeantragung und die Behandlung insgesamt als häufig entwürdigend empfunden werden. In der Türkei werde man weniger diskriminiert oder über Menschenrechte und Demokratiedefizite „belehrt“, sagen etliche Afrikaner. Neben Bauunternehmen mit großen Infrastrukturprojekten sind auch viele türkische Kleinunternehmen in Branchen von Textil bis Gastronomie in Afrika aktiv. Türkische Produkte – Mode bis Möbel – sind omnipräsent in vielen afrikanischen Ländern.
Die Türkei hat in den vergangenen Jahren auch stark vom Rückzug Frankreichs und Europas aus Teilen Afrikas profitiert. Frankreich hat zuletzt seine Truppen aus Mali, Burkina Faso und Niger zurückgezogen und die Europäische Union ihre Trainingsmissionen reduziert oder beendet – Europa will nicht mit Militärregierungen zusammenarbeiten wegen deren Kooperationen mit Russland und aus Furcht vor Übergriffen der von der EU trainierten Soldaten gegenüber Zivilisten. Diese Zurückhaltung der Europäer war auch der Grund, warum viele dieser Ausbildungsmissionen niemals wirklich erfolgreich waren. Denn Deutschland und andere Länder wollten etwa nicht, dass malische Soldaten mit echten Gewehren ausgebildet werden.
Exportschlager Drohnen
Die türkische Rüstungsindustrie geht in Afrika pragmatischer vor und expandiert stark, um die Lücken der Europäer zu füllen. Es ist eine inoffizielle Arbeitsteilung mit Russland und China, die ebenfalls stark auf dem Rüstungsmarkt Afrikas expandieren. Russland liefert Söldner, Flugzeuge und Hubschrauber nach Mali, Libyen oder in die Zentralafrikanische Republik, die Türkei stellt Drohnen bereit. Das Bayraktar-Modell ist ein Verkaufsschlager, seit es im libyschen Bürgerkrieg 2019 zum Einsatz kam. Mali, Niger und Burkina Faso haben die Drohne gekauft, die den dortigen Armeen ähnlich wie in Libyen zu ersten Erfolgen verholfen hat. Malis Armee konnte dank der Drohnen aus der Türkei und der von Russland gelieferten Flugzeuge die Rebellenhochburg Kidal im Norden Ende 2023 einnehmen, die seit zehn Jahren außerhalb der Kontrolle des malischen Staates lag. Burkina Faso hat die Drohne erfolgreich im Kampf gegen Dschihadisten eingesetzt. Das westafrikanische Land hatte zuvor immer wieder vergeblich Europa um militärisches Gerät gebeten.
Dazu hat die Türkei auch die Ausbildungshilfen in einigen Ländern ausgebaut, um mit Russland, China und dem Iran das Vakuum zu füllen, das die Europäer zurückgelassen haben. Dieses pragmatische Vorgehen hat der Türkei zu Ansehen in Afrika verholfen, auch weil den westlichen Partnern Doppelstandards vorgeworfen werden. Frankeich unterhält weiter enge Beziehungen zu einigen autokratisch regierten afrikanischen Staaten wie Tschad, wo einer der größten französischen Truppenstandorte in Afrika angesiedelt ist. Die Türkei arbeitet mit allen afrikanischen Staaten zusammen, unabhängig davon, wer gerade an der Macht ist. Sie hat das Ziel ausgegeben, in jeder Hauptstadt auf dem Kontinent eine Botschaft zu eröffnen. Neben Libyen unterhält die Türkei auch eine Militärbasis in Somalia, wohin auch die meiste türkische Entwicklungszusammenarbeit geht.
Wenn nötig, interveniert die Türkei auch militärisch – so wie 2019, als das Land aktiv im libyschen Bürgerkrieg die damalige international anerkannte Regierung in Tripolis unterstützte, um einen Angriff des ostlibyschen Kommandanten Khalifa Haftar auf die Hauptstadt abzuwehren. Später errichtete die Türkei eine Luftwaffenbasis in Westlibyen – sozusagen als Abschreckung gegen Haftar, der von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten militärisch unterstützt wurde. Auch hier waren handfeste wirtschaftliche Interessen im Spiel, weil die Türkei Tripolis erst mit Drohnen und anderen Mitteln unterstützte, als die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Fayez Al-Sarraj ein Abkommen mit Ankara über die Ausbeutung lukrativer Gasfelder im Mittelmeer abschloss. Al-Sarrajs Regierung wurde gerettet, aber zu einem hohen Preis.
Türkische Schulen
Dazu investiert die Türkei in „Soft Power“, um ihr Image zu verbessern. Das Land gibt weniger Mittel für Entwicklungszusammenarbeit aus als Europa, kommuniziert aber deutlich aktiver, wie der Besuch Erdoğans 2012 in Somalia zeigte, der der Türkei viele Sympathien einbrachte, weil türkische Organisationen auch Hilfsgüter mitten in einer Hungersnot mitbrachten. Die Türkei vergibt auch großzügig Stipendien für Studenten aus Afrika und unterhält zur Vorbereitung ein Netzwerk türkischer Schulen über die Maarif-Stiftung auf dem Kontinent. Hinzu kommen zahlreiche religiöse Ausbildungsprogramme für muslimische Geistliche. Ein türkischer Diplomat sagte einmal, es gehe darum, eine kommende Generation junger Führungskräfte auszubilden, die Türkisch sprechen – eine lohnende Investition, weil Afrika der Kontinent mit weltweit der jüngsten Bevölkerung ist.
Auch Innenpolitik spielt in Afrika eine Rolle. Zum einen hilft die Afrika-Expansion Erdoğan, sich zu Hause als einflussreicher Staatsmann und einer der Anführer der muslimischen Welt darzustellen. Die staatliche Maarif-Stiftung hat in den vergangenen Jahren stark expandiert und Schulen von Erdoğans Erzrivalen Fethullah Gülen übernommen, dessen religiös-muslimische Bewegung von Ankara des gescheiterten Putschversuchs von 2016 beschuldigt wurde. Analysten sagen, dass die Türkei in den Folgejahren Druck auf einige afrikanische Staaten ausgeübt hat, um Gülen-Anhänger auszuliefern – im Gegenzug wurden Entwicklungsprojekte und andere Hilfen versprochen.
Festzuhalten bleibt, dass Europa und Deutschland viel von der Türkei mit ihrer pragmatischen und langfristig ausgerichteten Afrika-Strategie lernen können. Ankara lässt sich nicht durch kurzzeitige politische Veränderungen vom Kurs abbringen und sieht in Afrika Chancen, nicht wie die europäische Öffentlichkeit vor allem Armut und Konflikte. Die Soft-Power-Strategie zusammen mit Flugverbindungen von Turkish Airlines wird mit Sicherheit die Herzen junger Menschen in Afrika erobern, die mit türkischen Produkten aufwachsen und in der Türkei Urlaub machen, anstatt wie ihre Eltern noch in Europa.
Der Autor
Ulf Laessing leitet das Sahel-Programm der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Bamako (Mali).