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Wie ukrainische Frauen ihr Land verteidigen

Die Ukraine wird nicht nur von Soldaten an der Front verteidigt. Im Land hat sich ein Heer von Freiwilligen gebildet, das sich um Nachschub, politische Unterstützung und die Versorgung der Verwundeten kümmert. Vier Ukrainerinnen berichten, was sie zur Verteidigung ihrer Heimat tun und welche Opfer sie selbst bringen – an und hinter der Front.

Kseniia (Mitte) hat sich zu Beginn des Krieges gesagt: „Ich werde nicht fliehen.“ Heute setzt sie sich für die Versorgung von Soldaten an der Front ein.

Foto: privat

frauenUkraine

Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 machte sich in manchen Social-Media-Kanälen Häme und Zynismus breit. Endlich sei die „natürliche Ordnung“ von „schwachen Frauen und starken Männern“ wiederhergestellt, hieß es. Ein Hauch von 1950er-Jahre-Feeling durchzog die Geschlechterdebatte in diesen Internetforen. Es war eine Reaktion auf die tausenden Frauen, die mit ihren Kindern zur Flucht gezwungen worden waren, während Präsident Selenskyj Männer zwischen 18 und 60 Jahren zu Wehrpflichtigen erklärt und ihnen – bis auf wenige Ausnahmen – die Ausreise verboten hatte. Die Kommentatoren jener Chatgruppen lagen allerdings daneben. Denn ukrainische Frauen trugen und tragen entschlossen zur Verteidigung ihres Landes bei. loyal stellt vier von ihnen vor.

Zoya Shu (Ende 30) Dokumentar-Fotografin, Kyjiv

„Eines der Bilder, die ich gemacht habe, zeigt ein eingraviertes Hakenkreuz auf dem Rücken eines Zivilisten aus Donezk“, sagt die Kyijver Doku­mentar-Fotografin Zoya Shu. „Er wurde 2014 wegen seiner pro-ukrainischen Haltung gefangen genommen, nachdem er seine Ansichten in sozialen Medien geteilt hatte. Die russischen Besatzer nahmen ihn gefangen und ritzten ihm ein riesiges Hakenkreuz über den gesamten Rücken. Außerdem haben sie ihm zwei Fingernägel herausgerissen. Jetzt muss er mit dieser Narbe leben.“
Seit 2019 porträtiert und interviewt Zoya Shu Menschen, die in russischer Gefangenschaft waren. „After Captivity“ („Nach der Gefangenschaft“) nennt Shu diese Fotoserie. Sie zeigt Opfer des Kriegs im Süden und Osten der Ukraine, der seit 2014 andauert. Die Fotografin erzeugt Aufmerksamkeit, gibt den Opfern auch jenseits der Front ein Gesicht und eine Stimme. Mit ihren Zeugnissen will sie die politische Unterstützung aus dem Ausland fördern.

Zoya Shu. (Foto: privat)

Die Enddreißigerin macht auf ein oft unterschätztes Thema aufmerksam. Denn unter feindlicher Besatzung sterben nicht selten mehr Menschen als bei militärischen Gefechten selbst, sagt Franziska Davies, Osteuropa-Expertin und Historikerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München: „Das war zum Beispiel im besetzten Polen der Fall, also 1939. Nach dem deutschen Angriff hatte sich Polen ja sehr schnell ergeben, und am Ende des Krieges waren sechs Millionen polnische Staatsbürger tot. Etwa die Hälfte davon waren polnische Juden. Und auch die Ukraine selbst ist ein Beispiel. Auch in der Ukraine hatte die deutsche Besatzung mehr Tote produziert als die Kämpfe in der Ukraine.“

Umso wichtiger ist die Arbeit von Dokumentarfotografen wie Zoya Shu, die die Menschen hinter den Zahlen zeigt. „Viele der Betroffenen haben körperliche und psychische Folter erlebt“, sagt Shu. So erzählt sie von einem ukrainischen Juden, den sie porträtiert hat: In russischer Gefangenschaft sei Dmitry Kluger aus Donezk fortwährend gefoltert worden, um aus ihm die Namen ukrainischer Aktivisten herauszupressen. Aus Angst, den Schmerzen nicht länger standhalten zu können, beging er einen Suizidversuch, den er überlebte. So wie für diesen Mann sei die Entlassung aus der Gefangenschaft für die meisten Betroffenen nur ein erster Schritt in die Freiheit, sagt Shu. Denn viele würden auch Jahre später psychisch noch „in den Kellern“ bleiben, in denen sie zuvor gefangen gehalten worden seien.

Die russische Invasion des vergangenen Jahres habe das Leben der Fotografin von einem auf den anderen Tag auf den Kopf gestellt, sagt sie: „Es hat mich persönlich berührt, weil meine Mutter seit dem zweiten Tag im Kriegsgebiet war, denn sie lebte am Stadtrand von Tschernihiw. Sie war fast zwei Wochen lang unter Beschuss, bevor sie es schaffte, zu fliehen. Ich musste sie dann begleiten und sie an einen sicheren Ort bringen, und das war Deutschland.“

Dabei wollte Shu ihre Heimat eigentlich nicht verlassen. Die Fotografin erinnert sich an eine Frau aus Donezk, die sie fotografiert hatte. Sie habe ihr eine kleine Schweinchenfigur aus Glas gezeigt ‒ das Einzige, das von ihrem Haus in Donezk übrig geblieben sei. Zwar empfand Shu schon damals viel Mitgefühl für die Geflüchtete. „Aber als ich selbst zum Flüchtling wurde und mit nur einer Tasche floh, mit meinen Festplatten, alten Familienfotos und etwas Kleidung, habe ich die Frau erst so richtig verstanden. Ein Flüchtling zu sein, ist eine sehr schlimme Erfahrung. Man ist in Sicherheit, aber seine Heimat zu verlieren ist schrecklich, weil sie das Fundament für die eigene Stabilität ist.“ Große Dankbarkeit empfindet sie Deutschland gegenüber für die Unterstützung ukrainischer Geflüchteter.

Eines der verstörendsten Fotos von Zoya Shu: Ein Zivilist aus Donezk, dem wegen seiner pro-ukrainischen Haltung ein Hakenkreuz auf den Rücken eingraviert wurde. (Foto: picture alliance/AP Photo)

Erst zehn Monate später, im Februar, kommt Zoya Shu wieder in die Ukraine zurück. Sie empfindet es als ihre Pflicht, Krieg und Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Im zwölften Stock eines Kyjiver Hochhauses erlebt sie die vielen nächtlichen Luftangriffe, flüchtet immer wieder in Metrostationen und schläft auf einer Matratze im Wohnungsflur. Dorthin hat sie ihr improvisiertes Schlafzimmer verlegt, nachdem sie eine Wohnung gesehen hatte, die von einer russischen Drohne angegriffen wurde. Die Fotografin realisierte: Würde sie weiter in ihrem eigentlichen Schlafzimmer bleiben, könnte sie bei einem solchen Drohnenangriff von Glassplittern getötet werden. Der Alltag geht weiter, und doch bleibt eine Angst. Nicht nur der Bombenterror, auch die andauernde Beschäftigung mit Folter und Verschleppung hinterlassen bei Zoya Shu Spuren: „Da der Krieg uns alle wie ein Tsunami überrollt hat, auch meine Familie, fällt es mir immer schwerer, mit meinen Gefühlen klarzukommen. Seit meiner Rückkehr habe ich zwar einige Menschen getroffen, die nach der Invasion 2022 in russischer Gefangenschaft waren. Aber deren Erlebnisse sind viel schlimmer als alles, was ich vorher gehört hatte. Die Geschichten sind entsetzlich, es ist sehr brutal.“ Deswegen hat Zoya Shu ihr Fotoprojekt „After Captivity“ erstmal auf Eis gelegt. Sie trifft die Freigelassenen zwar weiterhin, um sie kennenzulernen. Aber sie unternimmt bewusst nur schöne, leichte Dinge mit ihnen, wie Spaziergänge im Park ‒ zum Schutz alle Beteiligten.

Kseniia (24), Nachschub-Meisterin, Kyjiv

Kseniia, die ihren Nachnamen aus Sicherheitsgründen nicht nennen will, koordiniert in Kyjiv Geld‒ und Sachspenden, die direkt an Kämpfer – Männer und Frauen – an der Front gehen. So will ihr rund 40-köpfiges ehrenamtliches „Solidarity Collective“-Team Nachschubmängel unkompliziert und schnell beheben.

Kseniia nennt ein Beispiel: „Wenn ein Soldat seine Einheit nach Schuhen in Größe 44 fragt und als Antwort erhält, er solle entweder Größe 43 nehmen oder Winterschuhe in Größe 44 – bei 30 Grad plus, weil keine Sommer­schuhe da seien – das geht nicht.“ Jedoch könnten Soldaten sich Kleidung auch selbst beschaffen, weshalb sich die Gruppe darüber hinaus auf wichtigere Dinge wie Aufklärungsmaterial, Autos und Drohnen konzentriere. 10.000 Euro verteilt das „Solidarity Collective“ monatlich. Die Spenden kommen vor allem aus dem Ausland. Was gebraucht wird, sagen ihnen die Kämpfer selbst. Kseniia nimmt Anfragen an, bestellt Ausrüstung und verteilt sie. Schon als 18-Jährige hat sich die Ukrainerin bei Militärtrainings auf eine Eskalation in ihrem Land vorbereitet: „Ich wollte vorbereitet sein, Widerstand zu leisten gegen den, der uns angreift. Das erste, was ich gedacht habe, als der Krieg begann, war: Ich werde nicht fliehen. Nicht aus Kyjiv, nicht aus der Ukraine. Mein einziger Gedanke war, dass ich in dieser Situation ein Teil des Widerstands sein will.“

Kseniia sammelt Sachspenden und kümmert sich um deren Verteilung. (Foto: privat)

Im „Solidarity Collective“ arbeitet die 24-Jährige ehrenamtlich, abends und nachts, nach ihrem Vollzeitjob als Grafikdesignerin. Psychisch ist sie am Limit: „Mein Gehirn hat eine Menge Abwehrmechanismen, wenn Leute anfangen, über beängstigende Erlebnisse von der Front zu sprechen. Es ist ein bisschen so, als würde ich alle eigenen Gefühle auf Pause stellen, Glücksgefühle genauso wie Angstgefühle. Ich will mir auch nicht viel Zeit nehmen, um emotional zu reflektieren, was alles so passiert ist ‒ wenn du etwa hörst, dass einige befreundete Soldaten an der Front gestorben sind. Dein Gehirn hat Grenzen bei dem, was es verdauen kann. Und wenn es zu viel ist, geht es eben in den Verteidigungsmodus über, um nicht zu explodieren.“

Kseniia nimmt wie viele andere Ukrainerinnen auch enorme körperliche und psychische Anstrengungen in Kauf, um ihren Teil zur Verteidigung des Landes beizutragen. Dennoch kennt sie verächtliche Bemerkungen von Männern, die Kompetenz und Fähigkeiten von Frauen in Frage stellen wollen. Nicht zuletzt aus den Erzählungen der Soldatinnen, die sie betreut. Kseniias Erfahrung ist allerdings, dass die Frauen durch Leistung überzeugen. Und das um so stärker, je näher sie an der Front eingesetzt sind: „Denn du könntest ein cooler Typ mit Bizeps und sehr maskulinem Auftreten sein. Aber wenn du eine Null an der Front bist, wo dieses kleine Mädchen schon zwei Jahre Erfahrung hat und hunderte Menschenleben gerettet hat und du von ihr verteidigt wirst, kannst du dir ihr gegenüber keinen Bullshit erlauben. Oder wenn du eine Drohnenspezialistin bist, ist es auch so: Die Leute werden sich dir gegenüber nicht so verhalten, wie sie es vielleicht in einer Gesellschaft gewohnt sind, die irgendwelche Sexismus-Witze zulässt.“

Die Einstellung der ukrainischen Bevölkerung zu Frauen in den Streitkräften hat sich seit dem russischen Überfall 2022 verändert. Laut einer Studie des Instituts für soziale und politische Psychologie der ukrainischen Nationalen Akademie der Pädagogischen Wissenschaften hatte 2018 nur rund die Hälfte der Befragten Verständnis für militärisch aktive Frauen. Inzwischen liegt die Zustimmung bei 80 Prozent. Außerdem ist die Zahl der Soldatinnen auf 43.000 angestiegen und hat sich damit nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsminist­eriums seit 2014 um das zweieinhalbfache erhöht. Das ist ein Frauenanteil von knapp 22 Prozent. Zum Vergleich: In der Bundeswehr sind es 13 Prozent Frauen. Von den ukrainischen Soldatinnen werden 5.000 direkt an der Front eingesetzt.

Koala (26), Sanitäterin, Kyjiv

Koala ist ihr Spitzname, ihren richtigen Namen will die junge Frau aus Sicherheitsgründen nicht nennen. Die Kyjiverin ist Mitglied bei den Hospitallern, einer Gruppe ziviler ehrenamtlicher Sanitäter mit 500 Aktiven. Die Gruppe ist seit 2014 an der ukrainischen Front im Einsatz, um Erste Hilfe zu leisten und sie danach in ein Krankenhaus zu bringen. Koala ist seit Oktober bei den Hospitallern. Zuvor habe sie auf eigene Faust Medikamente in ganz Europa gesammelt, um daraus Pakete zusammenzustellen und an die Front zu schicken, sagt die studierte Biophysikerin. „Dann habe ich beschlossen, dass ich mehr tun muss. Meine innere Stimme hat mir gesagt: ,Tu mehr‘. Ich kenne keine Freiwilligen aus der Ukraine, die von sich sagen, dass sie genug tun. Das wird dir wirklich niemand sagen.“

Ihren Lebensunterhalt bestreitet Koala mit einem Job bei einer Nichtregierungsorganisation, wo sie Soldaten Erste-Hilfe-Maßnahmen beibringt. Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Tätigkeit wechseln sich für sie im Zwei-Wochen-Rhythmus ab. Bei den Hospitallern nimmt sie Verletzte in Empfang, die andere Teammitglieder direkt von der Front geholt haben ‒ aktuell in den Regionen Dnipro und Donezk. „Dann setzen wir mit medizinischem Personal die Evakuierung zu einem Stabilisierungspunkt, Stabilisierungspunkt fort – in ein Krankenhaus in Dnipro oder irgendwo in der Nähe der Front. Die Evakuierung erfolgt stufenweise, weil wir nicht genügend Sanitätspersonal an der Front haben, also müssen wir die Ärzte in Sicherheit bringen.“ Allein in den vergangenen vier Wochen seien es 300 Soldaten gewesen, die Koala in einem großen Bus mit zehn Pflegeplätzen zur nächsten Klinik gebracht hat. „Manchmal nehmen wir frisch operierte Menschen mit, die im Bus aus der Narkose aufwachen und merken, dass sie ihre Hände verloren oder Wunden im Intimbereich haben, und das kann sehr schwer für sie sein.“

Fotos der Hospitaller, für die Koala arbeitet, auf Social Media. Die Bilder zeigen den Alltag der Gruppe, die sich um verwundete Soldaten kümmert. (Quelle: Hospitallers Ukraine Aid via Twitter)

Zu den körperlichen Verletzungen komme das psychische Trauma, berichtet die ehrenamtliche Sanitäterin: „Ein Junge hat mir zum Beispiel erzählt, dass er gesehen hat, wie 20 Menschen neben ihm gestorben sind. Sein jahrelanger Albtraum werde es sein, dass er einem Kameraden in der Nähe nicht helfen konnte. Aber er selbst hatte eine wirklich schwere Verletzung und konnte nicht mehr tun. Und diese Momente sind für ihn, für uns alle, eine große Belastung. Wir müssen nicht nur medizinische Hilfe leisten, sondern auch mentale. Jede Verletzung, jedes Unglück ist eine Geschichte, die mich noch lange begleiten wird. Ich versuche, all diese Geschichten irgendwie wegzupacken, um psychisch stabil zu bleiben. Auch Antidepressiva sind für mich in Ordnung. Viele unserer Jungs brauchen Hilfe bei dem, was sie gesehen haben. Aber Psychotherapie ist in der Ukraine immer noch ziemlich stigmatisiert. Ich weiß also nicht, wie die Zukunft sein wird.“

Eine Flucht ins sichere Ausland kommt für die 26-Jährige nicht in Frage. Sie will bis zum Ende des Krieges bleiben und hofft, bis dahin nicht ihren Verstand zu verlieren. Die meiste Zeit überspielt sie düstere Gedanken mit einem Lächeln oder Witzen. Nur manchmal ist es einfach zu viel. Dann weint sie stundenlang.

Alieksiia (26), Frontsoldatin, Saporischschja

Alieksiia hat sich im vergangenen Jahr freiwillig zur ukrainischen Armee gemeldet. (Foto: privat)

Die Augen der Frontsoldatin liegen tief in ihren Höhlen, darum breiten sich dunkle Augenringe aus. „Ich kann vor lauter Stress oft kaum essen”, sagt Alieksiia, die ihren Nachnamen ebenfalls nicht nennen will. „Aber ich mag den Stress. Obwohl ich viele gesundheitliche Probleme habe, mit dem Schlafen, dem Essen und der Verdauung. Ich bin so nervös und zittere die ganze Zeit – aber ich mag es, weil es sich lebendig anfühlt. Im Moment bin ich in einer friedlichen Stadt bei meiner Familie, und es ist so langweilig. Es passiert nichts, kein Beschuss… Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich mit jemandem kämpfen will, und ich bin die ganze Zeit so aggressiv. Es ist eine Sucht, und ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob ich davon geheilt werden will.“

Alieksiia ist das, was sie bei der Bundeswehr „Einsatz-Junkies“ nennen: Im Einsatz vermissen sie die Familie, zuHause fällt ihnen die Decke auf den Kopf. Für Zivilisten ist das oft ein kaum verständlicher Teufelskreis.

2015 machte die junge Frau eine Ausbildung bei Truppen der territorialen Verteidigung. Vergangenes Jahr meldete sie sich dann freiwillig als Soldatin. Jetzt ist Alieksiia Sanitäterin und Infanteristin: Als Teil eines Maschinengewehr-Trupps beobachtet sie gegnerische Stellungen, gibt Anweisungen, wohin das Feuer verschossen werden soll und reicht Munition an. Außerdem steuert sie Spähdrohnen.

Das Recht, als Soldatin ihr Land verteidigen zu dürfen, mussten sich die Ukrainerinnen erst erstreiten. In der Ukraine machte die Studie „Invisible Battalion“ („Unsichtbares Bataillon“) der Stiftung „Ukrainian Women’s Fund“ von 2016 Schlagzeilen. Sie ergab, dass Frauen bis dato laut Gesetz nur kochen, putzen und die Buchhaltung machen durften, aber trotzdem als Scharfschützin, Granatwerferbedienerin, Aufklärungssoldatin und Artilleristin im Krieg im Donbass eingesetzt wurden. Trotzdem bekamen die meisten dieser Frauen keine sozialen Vergünstigungen oder militärische Auszeichnungen. Auch sozialer Status und Karrieremöglichkeiten in den Streitkräften blieben ihnen weitgehend verwehrt. Erst auf gesellschaftlichen Druck hin öffnete das ukrainische Verteidigungsministerium 2016 die Streitkräfte in 63 weiteren Einsatzbereichen für Frauen ‒ jetzt können sie auch offiziell Scharfschützin sein. Aber das ist selbst unter den Frauen umstritten.

Alieksiia wurde zur Sanitäterin und Infanteristin ausgebildet und kämpft aktuell in einem Maschinengewehr-Trupp. (Foto: privat)

Alieksiia erzählt, wie sie von Soldatinnen aus dem Hinterland kritisiert wurde: „Von ihnen habe ich so etwas gehört wie: ,Wir mögen es nicht, dass du an der Front kämpfst, weil du den Männern so zeigst, dass Frauen das auch können.‘ Also, die Frauen im Hinterland haben Angst, dass sie auch an die Front gehen müssen, und das gefällt ihnen nicht.“ Andererseits kommt Kritik von Angehörigen der ukrainischen Frauenbewegung: „Oh mein Gott! So viele Frauen haben mir gesagt, ich solle mich nicht schminken und meine Haare abschneiden. Die spinnen wohl! Ich trag meine Haare und mein Make-up, wie ich will.“ Alieksiia war bei den Kämpfen rund um Awdijiwka und Lyman in der Ostukraine dabei. Zwei Drittel der Soldaten ihrer früheren Kompanie seien bereits tot, sagt sie. Respekt bekommt sie jedoch nicht von all ihren Kameraden. Manche würden sie lieber in der Küche am Herd sehen, von anderen habe sie sogar sexuelle Belästigung erlebt, sagt die Soldatin.

Zoya Shu, Kseniia, Koala, Alieksiia ‒ vier Frauen im Einsatz zur Verteidigung ihres Landes. Jede auf ihre Weise, jede an einem anderen Platz. Wie der Krieg ausgehen wird, weiß keine von ihnen. Doch zur Debatte um Friedensverhandlungen, die einen eingefrorenen Konflikt zur Folge hätten, hat die Fotografin Zoya Shu eine klare Einstellung: „Wir alle wollen, dass der Krieg endet. Und es gibt eine sehr einfache Lösung – wenn Russland seine Truppen abzieht, dann wäre der Krieg vorbei. Leider können wir nicht einfach sagen ‚Wir ergeben uns, wir verhandeln‘ oder was auch immer, denn das beendet den Krieg nicht ‒ das macht es nur noch schlimmer. Russland wird nicht aufhören, und diese Gräueltaten, die wir gesehen haben, werden weiter geschehen. Sie sind nur deshalb nicht in größerem Ausmaß geschehen, weil die russischen Truppen aufgehalten wurden. Leider gibt es für uns keinen anderen Weg als diesen Widerstand.“

Auch dieses Bild ist von Zoya Shu: Tetyana, eine ukrainische Witwe, küsst die Urne mit der Asche ihres Mannes Alexander. Er ist gestorben, nachdem er aus einjähriger russischer Gefangenschaft in der Region Donezk nach Hause gekommen war. (Foto: picture alliance/AP Photo)
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