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Unberechenbare Gefahr

Biowaffen sind derart heimtückisch, dass niemand mehr offiziell an ihnen forscht. Die Bedrohung ist dennoch real.

Symbolbild: Ein Soldat unter ABC-Schutz bei der Übung Schneller Adler im Jahr 2018.

Foto: Bundeswehr/Carl Schulze

abc-schutzbiowaffen

Würde ein James-Bond-Bösewicht hinter Covid-19 stecken – man müsste ihm fast schon gratulieren. Monate, nachdem das Virus aus dem Epizentrum im chinesischen Wuhan seinen Zug rund um den Planeten begonnen hat, tappt die Wissenschaft noch immer im Dunkeln, wie das Unglück genau ins Rollen gekommen ist: War es eine Verkettung widriger, aber natürlicher Umstände, die das Virus vom Tier zum Menschen hat überspringen lassen? Die Schuppentiertheorie, sozusagen. Oder haben chinesische Wissenschaftler aus Versehen das Virus aus einer von zwei renommierten Forschungseinrichtungen der Millionenmetropole entkommen lassen? Das ist die Unfalltheorie. Oder aber – und das ist die spekatulärste Annahme – handelt es sich in Wirklichkeit bei Covid-19 um einen Kampfstoff, der möglichst viele Menschen krank machen soll? Das wäre dann die Biowaffentheorie. Letztere wurde von Fachleuten rasch verworfen – aber sie hat ihre Anhänger. Die allerdings sind ein „interessante“ Mischung: Irans oberster Führer Ali Chamenei, der republikanische US-Senator Tim Cotton und die nationalistische Zeitung „Global Times“ aus China neben hunderttausenden unbekannten Vertretern von Verschwörungstheorien. Dabei sollten biologische Waffen eigentlich schon lange der Vergangenheit angehören.

Tatsächlich sind Krankheitserreger und natürliche Giftstoffe als Mittel der Kriegführung völlig aus der Mode gekommen. Das war lange Zeit anders. In der Antike bewarfen Legionäre ihre Gegner mit Kot, im Mittelalter schossen Belagerer mit der Pest infizierte Leichen über Katapulte in Städte. So ging es weiter bis zur Neuzeit. Nachdem die Forschung mit der Züchtung von Bakterien begonnen hatte, ging der Einsatz von biologischen Waffen jedoch zurück, obwohl viele Staaten regelrechte Biowaffenprogramme unterhielten. Dahinter steckte weniger Altruismus als purer Eigennutz. Spätestens im 20. Jahrhundert wurde die Sorge immer größer, dass biologische Waffen außer Kontrolle geraten könnten. Dazu mag auch die „Spanische Grippe“ beigetragen haben; jener Virus, der sich ohne menschliches Zutun in den letzten Monaten des Ersten Weltkriegs von den Vereinigten Staaten aus über die Welt auszubreiten begann und dem bis 1920 rund 50 Millionen Menschen erlagen. Das „knock-me-down-fever“ tötete damit mehr als doppelt so viele Menschen wie die Kämpfe zwischen 1914 und 1918.

Einsatz von Biowaffen seit 1925 untersagt

1925 wurde im Genfer Protokoll der Einsatz von Biowaffen völkerrechtlich verbindlich untersagt. Im Kalten Krieg experimentierten die Supermächte noch einmal umfangreich mit ihnen. Seit 1975 sind aber auch Entwicklung, Herstellung und Lagerung gemäß der internationalen Biowaffenkonvention offiziell für die Signatarstaaten untersagt. Das Verbot umfasst jegliche Art von Kampfstoffen, die auf der Basis von Mikroorganismen sowie anderen biologischen Substanzen oder Toxinen hergestellt werden können. 182 Staaten haben den Vertrag unterschrieben.

In einer idealen Welt wäre mit diesem Vertrag die Geschichte der ersten Massenvernichtungswaffen zu Ende. Dass sie bis heute weitergeht, hängt an einer Reihe von Entwicklungen, die den Wert des Abkommens seit viereinhalb Jahrzehnten relativiert haben.

Nicht-staatliche Akteure versuchen weiterhin, in den Besitz dieser Waffen mit Massenvernichtungspotenzial zu gelangen. Bereits 1984 verseuchten Mitglieder der Bhagwan-Sekte im amerikanischen Bundesstaat Oregon Salatbars in einer Vielzahl von Restaurants sowie Auslagen von Gemüsebars mit Salmonellen-Bakterien. Mehr als 750 Menschen zogen sich dabei Lebensmittelvergiftungen zu. Nach den Anschlägen von New York und Washington am 11. September 2001 töteten in Briefen enthaltene Milzbranderreger, die an amerikanischen Politiker, Zeitungen und Nachrichtensender verschickt worden waren, fünf Menschen. Hinter der Tat steckte nach Einschätzung des FBI und des US-Justizministeriums ein amerikanischer Mikrobiologe, der brisanterweise in einer Forschungseinrichtung des amerikanischen Heeres für Infektionskrankheiten tätig gewesen war. Andere US-amerikanische Forscher bezweifelten seine Schuld. Jedenfalls beging der Hauptverdächtige Selbstmord, nachdem er Kenntnis von den Ermittlungen gegen ihn erlangt hatte. In Deutschland fanden im Juni 2018 Polizisten in einer Kölner Wohnung Substanzen zur Herstellung von Rizin. Der dort lebende Tunesier, ein Islamist, wurde im März diesen Jahres zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Symbolbild: Soldaten stehen in der ABC-Sonderschutzbekleidung Zodiak am Truppenentgiftungsplatz-90-Fahrzeug (TEP 90) während der Informationslehrübung Landoperationen 2017. (Foto: Bundeswehr/Carsten Vennemann)

Nicht nur Einzeltäter, Sekten und Terroristen beschäftigen sich mit Biowaffen. Attraktiv sind sie auch für gescheiterte  Staaten und Länder, die mit dem Rücken zur Wand stehen. Ihnen ist die Biowaffenkonvention herzlich egal. Das gilt zum Beispiel für Syrien. Das Assad-Regime hat bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass es vor dem Einsatz von Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung nicht zurückschreckte. Dass es über biologische Waffen verfügt oder sie entwickelt, ist zwar nicht bewiesen. Aber es gibt Hinweise darauf, dass das Assad-Regime Krankheitserreger und Keime für sich arbeiten lässt. So erhob die amerikanische Gesundheitsforscherin Annie Sparrow bereit 2018 in der US-Zeitschrift „Foreign Policy“ den Vorwurf, dass die syrische Regierung längst ausgerottete Krankheiten wieder habe aufleben lassen, indem die öffentliche Gesundheitsinfrastruktur systematisch zerstört worden sei. Zudem habe der Diktator Impfstoffe gegen die hochansteckende Infektionskrankheit Polio zurückgehalten. Die „Kinderlähmung“ brach 2013 in Syrien wieder aus, eigentlich galt sie dort seit 1995 als ausgerottet. Sparrows Vorwurf folgend wäre es durchaus rational, sollte Assad die Verbreitung von Covid-19 in gegnerischen Gebieten systematisch fördern. Gleichwohl – gegen die Biowaffenkonvention verstieße dieses hypothetische Agieren Assads wohl nicht.

Warnung vor nordkoreanischen Biowaffen

Das sieht bei Nordkorea offenbar anders aus. Die Regierung Trump mag mit Machthaber Kim Jong-un in den vergangenen Jahren monatelang über Atomwaffen verhandelt haben – US-Analysten sorgen sich deutlich mehr um die B-Waffen-Fähigkeiten, die Pjöngjang aufzubauen gedenkt. Die New York Times zitierte Anfang vergangenen Jahres aus einer Studie des Middlebury Institute of International Studies, wonach Nordkorea zielstrebig eigene Fähigkeiten aufbaue. Das Land kooperiere dazu auch mit ausländischen Forschern. Noch weiter ging Andrew C. Weber, der unter Präsident Barack Obama für Amerikas biologische Verteidigungsprogramme verantwortlich war. Nordkorea würde viel eher biologische als nukleare Waffen einsetzen, so Weber. Das Programm sei „fortgeschritten, unterschätzt und hochgradig tödlich.“ Details zu den Warnungen wurden allerdings weder von der Regierung Trump noch deren Vorgänger veröffentlicht. Fest steht, dass schon die Sorge vor Epidemien mit unzähligen Opfern für Kim Jong-un ein weiteres Werkzeug sind, um den Preis von militärischen Operationen gegen sein Land in die Höhe zu treiben und zugleich die militärische Überlegenheit der USA und ihrer südkoreanischen Verbündeten ein Stück weit zu kompensieren.

Sieht es bei den großen Staaten besser aus? Das  schon. Aber auch bei ihnen ist es nicht ausgemacht, dass sich alle an die Biowaffenkonvention halten. Das US-Außenministerium zweifelte in einem Report im August 2019  bei gleich vier Staaten daran. Neben Nordkorea richtete sich die Skepsis gegen Iran, Russland und China. Dabei ging es entweder um Altlasten früherer Programme, die noch nicht vollständig beseitigt wurden, oder aber um mögliche Dual-Use-Aktivitäten, bei denen Forschungsergebnisse entstehen können, die als Waffen missbraucht werden können. Sie sind quasi ein unvermeidbarer Geburtsfehler der Biowaffenkonvention. Denn die Forschung lässt sich in diesem Bereich nicht stoppen. Die Natur ändert sich ständig, und mit ihr Keime und Erreger. Darum muss zu friedlichen Zwecken und zum Zwecke der Verteidigung weiterhin geforscht werden, was aber auch die Entwicklung neuer Keime und Erreger beinhaltet.

Hinzu kommt, dass sich inzwischen Forschungsfelder aufgetan haben, die nicht mehr einwandfrei von der Biowaffenkonvention gedeckt werden. Mit Hilfe von synthetischer Biologie lassen sich Organismen erschaffen, die in der Natur gar nicht vorkommen. Auch ausgerottete Infektionskrankheiten könnten so als regelrechte Zombies zurückkehren. Für das Pockenvirus lieferte der kanadische Virologie David Evans schon 2017 einen Bauplan aus chemisch gewonnenen DNA-Fragmenten; freilich ohne die detaillierte Anleitung offenzulegen. Ferner könnten Eingriffe ins menschliche Erbgut eines Tages zu einer echten Waffe werden.

Hoffnung auf mehr Transparenz

„Fortschritte in der Gentechnik könnten Staaten in die Lage versetzen, Biowaffen zu entwickeln, die präzise einsetzbar sind und damit auch militärisch attraktiv werden“, warnt Oliver Meier vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Um der Gefahr zu begegnen, die künftig wieder stärker von Biowaffen ausgehen könnte, hofft Meier auf mehr Transparenz in der Verteidigungsforschung, neue vertragliche Regelungen, die neue Biotechnologien mit erfassen und auf mehr Resilienz. Dass Deutschland, was die Widerstandskraft angeht, gar nicht schlecht aufgestellt sei, zeige sich zum Beispiel an Einrichtungen wie der Freiwilligen Feuerwehr. Mit seinen  vielen breit aufgestellten ehrenamtlichen Hilfsorganisationen verfüge Deutschland über Kapazitäten, die andere Länder so nicht hätten.

Ob diese Fähigkeiten am Ende ausreichen würden, um einem Biowaffenangriff tatsächlich standzuhalten, ist indes nicht ausgemacht. Die Corona-Pandemie mag ein guter Rahmen sein, um das zu testen. Doch wie herausfordernd diese Pandemie auch werden mag – gemessen an den Erregern, die theoretisch eines Tages als Waffe auf die Menschheit losgelassen werden könnten, dürfte Covid-19 ein Kinderspiel sein.

Lorenz Hemicker ist Politischer Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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