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Urbane Operationen – das unterentwickelte Kriegsbild der Bundeswehr

Urbane Operationen entscheiden zunehmend Kriege. Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten. Aktuell zeigt der Gaza-Krieg die strategische Bedeutung von Ballungsräumen. Die Bundeswehr ist auf den Kampf um Städte ungenügend vorbereitet.

Israelische Soldaten üben den Häuserkampf. Das Trainingsgelände auf der Militärbasis Zeelim in Südisrael ist unter den Soldatinnen und Soldaten als "Mini Gaza" bekannt. Bei Übungsszenarien können hier zeitgleich bis zu zweitausend Personen eingesetzt werden.

(Foto: picture alliance / AP)

Ausbildungheer

Städte sind zentral für den Ausgang von Kriegen. Die Entscheidungen fallen oft nicht in der Weite der Fläche, sondern in urbanen Räumen. Nicht umsonst drehen sich die entscheidenden Operationen im Ukraine-Krieg um Städte. Gefechtsführung in urbanen Räumen ist der zentrale Faktor in der israelischen Operationsführung im Gazastreifen.

Denn Städte sind kulturelle, wirtschaftliche und politische Zentren, deren Bedeutung stetig wächst. Laut den Vereinten Nationen lebt bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Dieser Wert soll bis 2050 auf fast zwei Drittel steigen. Urbane Räume zu halten oder zu erobern, wird in der Kriegsführung immer wichtiger.

Die Bundeswehr muss sich auf diese Herausforderung zügig vorbereiten. Doch die Entwicklung scheint in eine andere Richtung zu gehen. Bei der laufenden Refokussierung auf Landes- und Bündnisverteidigung stehen wieder konventionelle klassische Operationen Panzeroperationen, die unsere Interpretation des Zweiten Weltkrieges fälschlicherweise geprägt haben, im Mittelpunkt.

Vorherrschendes Kriegsbild: mechanisiertes Gefecht

Es fällt auf: VJTF-Eingreifverband und EFP-Einheiten werden vor allem auf ein Kriegsbild geschult und beübt, das sich am mechanisierten Gefecht in der Fläche orientiert, wie wir es aus dem Zweiten Weltkrieg kennen, und auf das sich die NATO bis 1990 vorbereitet hat. Auch ein Blick in das Thesenpapier des Heeres „Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?“ von 2017 zeigt: Es geht hier um das klassische Gefecht von Panzertruppen. Mit Kämpfen in urbanen Räumen wird nur im Ausnahmefall gerechnet.

Dabei ist es spätestens seit dem Krieg in der Ukraine offensichtlich, welche zentrale Rolle Städte für die moderne Kriegsführung spielen. International gibt es vereinzelt Bestrebungen, diese Lücke im Kriegsbild zu schließen. Ein Beispiel ist der Urban Operations Planner Course (UOPC) der 40. Infanteriedivision der US-Nationalgarde. Dieser Kurs führt international anerkannte Experten für urbane Operationen zusammen, um Stabspersonal die Operationsplanung und -führung ab Ebene Brigade näherzubringen. Der Autor dieses Artikels nahm am zweiten UOPC im Juli 2022 teil und erlangte einen besseren Einblick in die Bedürfnisse urbaner Operationen, die er hier mit Blick auf die Bundeswehr vorstellt.

Herausragend für urbane Räume sind die Massen an Menschen, die auf engstem Raum zusammenleben. Dass sich umkämpfte Städte durch Flucht der Zivilbevölkerung entleeren, ist unrealistisch. So befanden sich bei Beginn der Schlacht um Stalingrad 1942 noch bis zu einer halben Million Zivilisten in der Stadt. In der Schlacht um Berlin 1945 sollen nach Schätzungen bis zu 22.000 Zivilisten umgekommen sein. Bei der Schlacht um Mossul 2016 werden die zivilen Opfer auf bis zu 10.000 geschätzt. Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass es im Kriegsfall auch heute noch Zivilisten in großen Mengen in Städten geben wird und da es für die Bewohner des Gazastreifens weder Richtung Ägypten noch Israel Fluchtmöglichkeiten gibt, ist auch im sich anbahnenden Gazakrieg mit einer hohen Präsenz von Zivilisten im Kampfgebiet zu rechnen.

Lehren aus dem Ukraine-Krieg

Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass es im Kriegsfall auch heute noch Zivilisten in großen Mengen in Städten geben wird. Hieraus entsteht eine massive Herausforderung für westliche Armeen wie die Bundeswehr: Ein wahlloses Vorgehen, wie es die russischen Streitkräfte an den Tag legen, entspricht nicht unseren Werten. Westliche Streitkräfte müssen Zivilisten so weit wie möglich im Rahmen des humanitären Völkerrechts schonen und beschützen. Ganz konkret kann das heißen, dass Zivilisten durch das Militär medizinisch behandelt und mit lebenswichtigen Gütern wie Lebensmittel, Trinkwasser und Kleidung versorgt werden müssen. Das belastet Sanitäts- und Logistikeinrichtungen der Streitkräfte zusätzlich.

Zerstörte Infrastruktur wie Kraftwerke und damit ein Stromausfall in Krankenhäusern verschärft diesen Aufwand weiter. Zu der Versorgung kommt ein weiterer Belastungsfaktor für das Militär: Die Menschenmassen sollen die Operationsführung so wenig wie möglich beeinträchtigen. Versorgungsstraßen und Angriffsachsen müssen freigehalten, Ausschreitungen müssen eingegrenzt werden. Das heißt für die Bundeswehr: Feldjäger werden wichtiger, da sie Expertise im Überwachen von unfriedlichen Menschenansammlungen und Krawalleindämmung besitzen.

Für die Kampfeinsätze der Streitkräfte sind Städte somit maximal anspruchsvoll. Weit offene Plätze, breite und kilometerlange Straßen, enge Gassen und Seitenstraßen, Hochhäuser, Industrieanlagen, Keller, Kanalisation und andere Gebäude schaffen einen komplexen Operationsraum. Durch den Krieg können noch Fahrzeugwracks, eingestürzte Gebäude und Trümmer hinzukommen. Die Bedrohungen in der Stadt kommen aus jeder Richtung, von oben und von unten. Gebäude können verstärkt und zur Verteidigung vorbereitet, Kanalisationen können genutzt werden, um Truppen ungesehen zu verschieben. Die Straße wird zur Todeszone. Wer überleben will, muss Deckung innerhalb von Gebäuden suchen. Soldaten müssen sich innerhalb von Häusern unter der Nutzung von Wanddurchbrüchen bewegen. Dazu bedarf es aber Sprengspezialisten. Die Pioniertruppe der Bundeswehr hat diese Spezialisten, diese müssen aber genau für diesen Auftrag ausgebildet und in genügender Anzahl vorgehalten werden.

Wenn der Nebel und das Deckungsfeuer liegen, rennen die Fallschirmjäger los von einer Hausecke zur nächsten. Achtung! Aus jedem Fenster könnte der Feind schießen. (Foto: Bundeswehr/Marco Dorow)

Ausrüstung anpassen

Auch die Kampfausrüstung der Bundeswehr-Infanteriekräfte muss für den urbanen Krieg optimiert werden. Beispiele: Um Gebäude freizukämpfen, ist deren wahllose Zerstörung keine Option für die Bundeswehr. Anspruch ist es, Kollateralschäden an Zivilisten zu minimieren. Moderne Verfahren – auf Englisch: Close Quarter Battles – orientieren sich daran und am Schutz der eigenen Kräfte. Dazu bedarf es aber einer Anpassung der Ausrüstung. So sind ballistische Schilde nötig, wie sie Spezialeinheiten von Polizeien nutzen. Diese sind ideal, um die Sicherheit der eigenen Truppe in langen Korridoren zu gewährleisten. Spezielle Mündungsfeuerdämpfer, sogenannte Blast Deflectors, lenken den Gasdruck nach vorne ab und schützen in beengten Räumen die Personen neben dem Schützen vor dem Gas- und Schalldruck der Waffe.

Verfahren wie sie seit dem Zweiten Weltkrieg angewendet wurden, etwa das Freikämpfen eines Raumes mit einer Handgranate und dann einem Feuerstoß in den Raum, sind kein akzeptables Vorgehen mehr, um im Stadtkampf zu bestehen. Bei unterirdischen Anlagen kommen weitere Herausforderungen hinzu: fehlende Luftzirkulation, besondere Druckverhältnisse und mögliche Belastung durch giftige Stoffe. Atemschutzmasken und Pressluftatmungssysteme mitzuführen, ist essenziell, um auch bei schlechter Luftqualität kämpfen zu können. Durch die Druckverhältnisse in unterirdischen Anlagen werden laute Geräusche wie etwa der Mündungsknall von Waffen um ein Vielfaches verstärkt, weswegen passender Gehörschutz enorm an Bedeutung gewinnt.

Fähigkeitslücke schließen

Die Vorbereitung westlicher Streitkräfte wie der Bundeswehr auf urbane Operationen lässt noch zu wünschen übrig. Lehrgänge, die über die Ebene der Kompanie hinausgehen oder operative Belange betrachten, sind rar gesät. Der UOPC ist der einzige Kurs, der sich auf urbane Operationen ab Brigade-Ebene konzentriert. Dabei ist die Brigade der zentrale Gefechtsverbund in den Streitkräften von NATO und EU.

In der Bundeswehr sind Bemühungen angelaufen, dieses Defizit zu beheben. Ein Beispiel ist die Übungsreihe KOMET der Luftlandebrigade 1, die Ende September 2023 stattfand. Ziel ist war das Beüben von Angriffen von Luftlandekräften auf urbane Räume. Zum Auftakt soll fand die Übung in der urbanen Übungsanlage Schnöggersburg im Gefechtsübungszentrum des Heeres stattfinden.

Um die Bundeswehr aber als Ganzes für die Herausforderungen urbaner Operationen fit zu machen, sind drei Schritte nötig. Erstens: Das Kriegsbild muss mit den Erfahrungen des Ukrainekrieges modernisiert und der Stellenwert von Operationen in urbanen Räumen herausgearbeitet werden. Zweitens: Die Truppe muss für die Herausforderungen des urbanen Umfeldes mit der nötigen Ausrüstung ausgestattet werden. Drittens: Die Truppe muss in neuen Verfahren, in der Planung und Durchführung urbaner Operationen ausgebildet werden.

(der Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels „Kampf in Häusern und Tunneln“ aus der loyal 1/2023)


Zum Autor:

Oberleutnant Ilhan Akcay hat an der Technischen Universität München Luft- und Raumfahrttechnik studiert, bevor er Soldat wurde. Nach seiner Ausbildung zum Offizier der Fallschirmjägertruppe sowie zum Beobachtungsoffizier war er Führer eines Joint Fire Support Teams, S3-Offizier im Fallschirmjägerregiment 26 und Presseoffizier der Luftlandebrigade 1. 2019 nahm er am Einsatz Capacity Building-Iraq als Führer eines Mobile Training Teams teil. Zurzeit dient er im Heimatschutzregiment 2 in Münster.

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