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Schneller Drache auf Frachtpaletten

Ein neues Einsatzkonzept der US-Air Force macht aus Transportflugzeugen effiziente Abschussrampen für Marschflugkörper. Der Name des neuen Systems stammt pikanterweise aus dem Chinesischen.

Eine MC-130J-Transportmaschine wirft palettierte Lenkwaffen an Fallschirmen ab, die dann im Sinkflug gezündet werden.

Montage: Ruwen Kopp / Foto: US Air Force, US Air National Guard

Air ForceloyalLuftwaffemunitionUSA

Die US Air Force (USAF) experimentiert unter der Programmbezeichnung „Rapid Dragon“ – mit palettierter Munition. Die dahinterstehende Idee: Militär-Transportflugzeuge sollen in die Lage versetzt werden, Marschflugkörper und andere Luft-Boden-Waffen einzusetzen. Das neue Einsatzkonzept wird auch verbündeten Streitkräften als schneller Kräftemultiplikator empfohlen. Es könnte dem Westen einen bedeutenden Vorteil im militärischen Ringen mit China verschaffen.

Die Bezeichnung „Schneller Drache“ für das Projekt wird von einer mittelalterlichen chinesischen Waffe abgeleitet: „Ji Long Che“ oder „Schneller Drachenwagen“ bezeichnete einst im Reich der Mitte Belagerungswaffen, die zwölf Projektile auf einmal abfeuern konnten. Die USAF wählte ausgerechnet diesen chinesischen Namen für das neue Waffenkonzept, das gegen den potenziellen Gegner China eingesetzt werden könnte, weil die palettierte Munition ebenfalls pro Kadenz massive Salven verschießen kann.

Viele Details sind jedoch noch offen, um die Idee erfolgreich umzusetzen. Die zugrunde liegende Technologie ist vergleichsweise einfach und im Großen und Ganzen bereits vorhanden. Besonders wichtig: Die Umsetzung erfordert keine spezielle Infrastruktur am Boden, keine Modifizierung des Flugzeugs und keine Spezialausbildung der Flugzeugbesatzungen und Bodenmannschaften. Palettierte Munition ist kompatibel mit den gängigen Frachtsystemen. Flugzeuge können nach dem Einsatz sofort wieder als Transportmaschinen eingesetzt werden.

Das Konzept

Grundlage des Konzepts ist die standardmäßige Frachtpalette, die routinemäßig schon jetzt für den Abwurf von Ausrüstung aus Transportflugzeugen eingesetzt wird. Auf dieser Palette wird ein modulares Trägergestell mit vier, sechs oder neun Nutz­last­zellen montiert („Viererpack“, „Sechserpack” beziehungsweise „Neunerpack“). Jede Nutzlastzelle fasst einen Marschflugkörper. Bis zu zwei „Sechser­pack“-Paletten können auf einer Maschine vom Typ C-130 mitgeführt werden; C-17-Flugzeuge fassen bis zu vier „Neuner­pack“-Paletten.

Palettierte Lenkwaffen werden für einen „Rapid Dragon“-Test in eine MC-130J geladen. (Foto: US Air Force)

Jedes Trägergestell ist mit Lastenfallschirmen sowie einem elektronischen Kontrollmodul ausgestattet. Die Kontrollmodule dienen als Schnittstelle zu den einzelnen Marschflugkörpern. Über die Module werden beispielsweise die Zielkoordinaten in die Navigationssysteme der Waffen eingegeben. In der Regel werden die Ziele bereits vor dem Abheben des Trägerflugzeugs festgelegt, doch ist es möglich, zu jedem Zeitpunkt vor Auslösen der Waffen die Zielkoordinaten zu ändern oder zu aktualisieren.

Beim Erreichen der Abwurfzone werden die Paletten über die Heckrampe ausgesetzt. Die Fallschirme öffnen sich, die Paletten gehen in einen stabilen Sinkflug über. Die elektronische Kontrollmodule jedes Trägergestells löst die einzelnen Marschflugkörper in sicheren Zeitabständen nacheinander aus. Nach dem Auslösen entfaltet jeder Marschflugkörper das Leitwerk; das Triebwerk zündet, die Waffe geht vom Vertikalflug in den horizontalen Flugmodus über und nimmt Kurs auf die vorgegebenen Ziele.

Operative Vorteile

Das Pentagon zitiert verschiedene Vorteile des Konzepts:

1. Die Offensivfähigkeit lässt sich dem operativen Bedarf entsprechend schnell und flexibel steigern. Alleine die US-Air Force verfügt über mehr als 650 Maschinen der Typen C-130, MC-130 und C-17, aber nur 140 Fernbomber. Noch wichtiger als die absoluten Zahlen ist die Tatsache, dass Transportflugzeuge bereits in vielen Weltteilen stationiert sind, während Fernbomber erst aus den USA entsandt werden müssen. Das Rapid-Dragon-Konzept ermöglicht daher eine frühe Gegenoffensive, bevor sich Kräfte aus den USA auf den Weg ins Einsatzgebiet machen.

2. Da Fernbomber von einer vergleichsweise kleinen Anzahl Flugplätze in der Krisenregion aus operieren, besteht die Gefahr, dass ein Gegner wie China die infrage kommenden Einrichtungen präventiv durch ballistische Raketen oder Bomber angreift. Die Fähigkeit der taktischen Trans­­port­flug­zeu­ge, von einer beliebigen Anzahl Flugplätzen – einschließlich Behelfspisten – zu starten, zwingt den Gegner, seine Strategie zu überdenken, erklärte Generalleutnant Jim Slife, Befehlshaber des USAF- Spezialkräfteoberkommandos (Air Force Special Operations Command – AFSOC) kürzlich. „Es ist nicht schwer festzustellen, wo sich die ganzen 3.000 Meter langen Betonrollfelder im Pazifik befinden. Es fällt dem Gegner wesentlich schwerer, sämtliche 900 Meter langen gerade Straßenabschnitte und Grasflächen anzuvisieren, die als Startbahnen infrage kommen“, sagte Slife.

Im Bereich des US-European Command wurde das neue US-Kampfkonzept erstmals 2022 in Norwegen erprobt. (Foto: US Air National Guard)

3. Die große Anzahl an zur Verfügung stehenden Pisten bedeutet, dass viele Transportflugzeuge gleichzeitig Angriffe aus unterschiedlichen Richtungen fliegen können, wodurch die gegnerische Abwehr stark beansprucht wird. Der Nachteil, dass die großen Transportflugzeuge keinerlei Tarnkappeneigenschaften besitzen, gilt den amerikanischen Luftwaffenplanern in diesem Zusammenhang als nebensächlich, da sie weitreichende Marschflugkörper von außerhalb der gegnerischen Flugabwehrzone aussetzen. Die in der bisherigen „Rapid Dragon“-Versuchsreihe verwendeten Geschosse AGM-158 JASSM-ER besitzen mehr als 500 Meilen Reichweite; die von 2024 an einzuführende Variante JASSM-XR fliegt sogar 1.200 Meilen weit.

Zeitplan

Begonnen wurde mit dem „Rapid Dragon“-Versuchsprogramm bereits im Dezember 2019. Die Federführung liegt beim Forschungsamt der US-Air Force (Air Force Research Laboratory – AFRL), unter wesentlicher Beteiligung von AFSOC sowie der Firma Lockheed Martin.

2021 wurden insgesamt fünf Testflugeinsätze mit jeweils steigender Schwierigkeitsstufe durchgeführt. Die Testeinsätze bestätigten die Verfahren zum Aussetzen und zur Stabilisierung der Trägerpaletten sowie zum Auslösen der eigentlichen Marschflugkörper. Der Abschluss der ersten, auf zwei Jahre ausgerichteten Versuchsreihe erfolgte am 16. Dezember 2021 unter Einsatz eines AGM–158-JASSM-ER-Marschflugkörpers. Im Rahmen des Testeinsatzes wurden die Zieldaten an ein über dem Golf von Mexiko fliegendes MC-130-Transportflugzeug übermittelt und in den Marschflugkörper eingegeben. Die Waffe wurde ausgelöst und zerstörte das vorgegebene Ziel.

Der Abwurf einer Lenkwaffen-Palette bei der Übung in Norwegen. (US Air National)

Der Ende 2021 durchgeführte Testflug bildete den Abschluss der ersten „Rapid Dragon“-Konzeptversuchsreihe. Das zu Beginn des Projekts gesteckte Ziel, binnen zwei Jahren einen einsatzrelevanten Testflug durchzuführen, wurde erreicht. Ein ebenfalls auf zwei Jahre ausgelegtes Nachfolgeprogramm soll nun die Technologie und die Einsatzkonzepte verfeinern und auch den Einsatz weiterer Munitionsarten – über Marschflugkörper hinaus – erproben. Im Gespräch sind vor allem Seezielflugkörper sowie Seeminen.

Am Ende dieser zweiten Projektphase will die Air Force über einen einsatzreifen Prototypen verfügen. „Auf diese Weise durchgeführte Versuchsreihen, die Fähigkeitslücken füllen sollen und transformative Lösungen an­streben, ermöglichen letztendlich im Vergleich zu den herkömmlichen langwierigen Beschaffungspraktiken eine zügige Einführung neuer Fähigkeiten“, erklärte Generalmajor Heather Pringle, AFRL-Direktorin.

Multinationaler Kräftemultiplikator

Washington hofft, dass auch alliierte Streitkräfte diese Methode nutzen werden. Das Konzept ermöglicht den Marschflugkörpereinsatz durch Verbündete und Partner, die über keine schweren Bomber verfügen. Hierdurch wäre – insbesondere im Krieg gegen einen starken oder flächenmäßig weit ausgreifenden Gegner – der Kräftemultiplikatoreffekt wesentlich höher. Die Tatsache, dass weltweit mehr als 60 Staaten die C-130 einsetzen und sieben Verbündete die C-17 im Inventar haben, bedeutet, dass das Konzept ohne größeren Aufwand exportiert werden kann. Darüber hinaus gilt, dass sich viele weitere Transportflugzeugtypen grundsätzlich ebenfalls für den Einsatz palettierter Munition eignen.

Im September 2022 erklärte AFSOC-Befehlshaber Generalleutnant Jim Slife im Rahmen eines Fachsymposiums, dass mehrere Partner aus verschiedenen Weltregionen Interesse bekunden. Sie hätten bereits die US-Air Force um Hilfe bei der Integration palettierter Munition auf ihren Transportflugzeugen gebeten, so Slife.


Der Autor

Sidney E. Dean ist freier Journalist mit Sitz in Suffolk, Virginia.

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