Handstreiche vor Chinas Küste
Die US-Marines bereiten sich auf Kämpfe im Indopazifik vor. Kern ist ein neuer operativer Ansatz namens Expeditionary Advanced Base Operations (EABO). Damit wollen sich die Marines im Falle eines Krieges mit China den Zugang zu Inseln vor dem chinesischen Festland erkämpfen. Die Umgruppierung und Ausstattung der Verbände ist angelaufen.
Einen großangelegten Landkrieg will Washington in Asien besser nicht führen. Im Fall eines Krieges mit China soll die Machtprojektion hauptsächlich durch See- und Fliegerkräfte erfolgen, die die strategisch wichtigen Inseln vor der chinesischen Küste einnehmen. Dort betreibt Peking eine sogenannte Anti-Access/Area-Denial (AA/AD)-Strategie, also den Ansatz, einem Gegner den Zugang zum Operationsgebiet zu verwehren. Im Rahmen dieser Strategie besetzt und militarisiert die Volksrepublik Inseln und Atolle am Rande des Ostchinesischen und des Südchinesischen Meeres. Durch die Stationierung von Radareinrichtungen, Flugabwehr- und Seezielraketen oder Abfangjägern auf diesen Inseln, sowie durch den Einsatz von Kriegsschiffen und landgestützten Flugzeugen, will China verhindern, dass US-Streitkräfte und deren Verbündete in diesen Regionen operieren. Nun haben die Amerikaner ein Konzept erarbeitet, wie sie die Chinesen vor deren eigener Haustür „knacken“ können.
Dieses Konzept nennt sich Expeditionary Advanced Base Operation (EABO). Es sieht vor, dass Verbände der Marines handstreichartig Einsätze auf den fraglichen Inselketten durchführen. Sie landen hierzu auf bewohnten oder unbewohnten Inseln und Atollen am Rande der ost- und südchinesischen Meere, erobern und halten diese. Einerseits soll so die Fähigkeit der Chinesen geschwächt werden, Schiffe und Flugzeuge der Amerikaner und ihrer Verbündeten zu bekämpfen. Darüber hinaus sollen die Marines ihrerseits eigene, gegen die Chinesen gerichtete Verbotszonen bilden. Ein Hauptziel besteht darin, dem Gegner die Bewegungsfreiheit entlang wichtiger See- und Luftverkehrswege zu nehmen, um Zeit für den Aufmarsch größerer US-Flottenverbände oder teilstreitkräftegemeinsamer Großverbände zu gewinnen.
Kleine Einheiten, große Feuerkraft
Kernelement der EABO-Operationen sind kleine Einheiten mit hoher Beweglichkeit und großer Feuerkraft. Nur kleine Einheiten, so die Überzeugung der Führung des US-Marinekorps, seien für eine schnelle Verlegung geeignet und erforderten lediglich eine überschaubare Logistik. Der Einsatz einer größeren Zahl von ihnen ermöglicht andererseits koordinierte Vorstöße an unterschiedlichen Stellen. Die mobilen Einheiten wechseln den Standort in kurzen Abständen – nach wenigen Stunden oder maximal nach wenigen Tagen –, um Gegenangriffen auszuweichen.
Transport ins Einsatzgebiet und Nachschubversorgung erfolgen per Flugzeug, etwa der CF-130 Hercules, der V-22 Osprey und dem Hubschrauber CH-53K King Stallion oder von See her mit amphibischen Transportschiffen, Landungsbooten und schnellen Katamaranfähren.
Die umfassende operative Fähigkeit, Meerengen zu kontrollieren, den Zugang des Gegners zur hohen See zu unterbinden und dem Feind ganz allgemein die Nutzung der Küstengebiete zu erschweren, ist Teil des EABO-Konzepts. Zu den Hauptaufgaben der EABO-Einheiten gehören daher direkte Infanterieangriffe gegen feindliche Flugabwehr- und Raketenstellungen, Flugplätze oder Horchposten. Ferner Aufklärung und Überwachung zur Unterstützung von Flotten- und Luftwaffenoperationen und die elektronische Kampfführung. Außerdem ist der Seezielflugkörpereinsatz gegen feindliche Kriegsschiffe Teil des Einsatzspektrums, um die taktische Navigationsfreiheit und Offensivfähigkeit des Gegners einzuschränken. Nicht zuletzt sollen die Einheiten weitreichende Raketenartillerie gegen militärische Ziele an der chinesischen Festlandküste einsetzen können.
Marine Littoral Regiments (MLR)
Doch die bestehende Kräftestruktur des Marinekorps ist nicht optimal für die Ausführung der EABO-Einsätze geeignet. Deshalb werden die Marines drei ihrer im Pazifik stationierten Regimenter umbauen. Die dann umgruppierten, für den Einsatz in Küstengewässern optimierten Einheiten tragen die Bezeichnung Marine Littoral Regiments (MLR). Die genaue Zusammensetzung und das Einsatzprofil der MLR wird derzeit entwickelt und getestet. Die anfängliche Planung deutet auf eine Stärke von etwa 1.800 bis 2.200 Mann hin, ergänzt von einer kleinen Anzahl aus dem Personal der US-Navy.
Die organisatorische Grundform wurde hingegen bereits festgelegt. Ein Marine Littoral Regiment umfasst demnach drei Hauptkomponenten:
- Der als Littoral Combat Team (LCT) bezeichnete primäre Gefechtsverband bildet den Kern des Regiments. Er besteht aus einem Infanteriebataillon und einer Seezielflugkörperbatterie.
- Das als Littoral Anti-Air Battailions (LAAB) bezeichnete Flugabwehrbataillon bekämpft Jagdflugzeuge und ballistische Flugkörper ebenso wie niedrigfliegende Feindflugzeuge (Hubschrauber, unbemannte Flugzeuge, Marschflugkörper). Es nimmt daneben weitere Aufgaben wahr. Hierzu gehört einerseits die Frühwarn-Luftraumüberwachung, andererseits die Flugleitung für amerikanische und verbündete Flugzeuge im angrenzenden Luftraumsektor. Auch die Betankung und Bewaffnung von senkrechtstartenden Jagdflugzeugen des Marine-Korps gehört zum Aufgabenspektrum dieses Bataillons.
- Das Versorgungsbataillon Combat Logistics Battalion (CLB) dient der logistischen Unterstützung der Einsatzkräfte. Im Vorfeld eines Konflikts legt das CLB nach Möglichkeit verdeckte Materiallager an verschiedenen Punkten des künftigen Einsatzgebietes an.
Konzept erfordert enormes Können
Die genaue Zusammensetzung einer operativen Einheit hängt jeweils von der Mission ab. Je nach Auftrag und Einsatzumfeld liegen die Einsatzkräfte zwischen einem verstärkten Infanteriezug und einer Kompanie, mit einer Durchschnittsstärke um 100 Mann pro Einsatz. Ein Regiment soll bis zu neun Einsatzgruppen gleichzeitig entsenden können. Die neue Konzeption erfordert enormes Können, denn grundsätzlich werden Einheiten der Zugebene mit Aufgaben betraut, die zuvor der Kompanieebene zugewiesen worden waren. Und Einheiten in Kompaniestärke sollen Aufträge ausführen können, die zuvor einem Bataillon aufgetragen wurden.
Das erste MLR wurde bereits im März 2022 auf Hawaii aktiviert. Dieser als 3rd Marine Littoral Regiment bezeichnete Verband nimmt derzeit an großen Übungen sowie an zusätzlichen, MLR-spezifischen Trainingsszenarien teil. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Abstimmung der Verbandsstruktur und der Einsatzdoktrin ein. Derzeit ist die Einrichtung von zwei weiteren MLR-Regimentern geplant. Sie werden voraussichtlich von 2025 an in Japan und anschließend auf Guam stationiert.
Um die Mobilität zu steigern, mustert das Marinekorps derzeit einen Großteil seiner schweren Waffensysteme aus. Hierzu gehören sämtliche Kampfpanzer sowie die Mehrheit der Rohrartillerie. Dafür werden weitreichende, aber leichtere neue Waffensysteme eingeführt. Zum Marine-Littoral-Regiment-Arsenal zählt unter anderem das NMESIS (Navy Marine Expeditionary Ship Interdiction)-System zur Bekämpfung gegnerischer Schiffe. Dieses Waffensystem besteht aus einem unbemannten Geländewagen als Träger für zwei Kongsberg-Naval-Strike Missile-Seezielflugkörper. Der Flugkörper hat eine geschätzte Reichweite zwischen 110 und 130 Seemeilen.
Schwere Waffensysteme werden ersetzt
Auch das bereits im Dienst befindliche mobile Raketenartilleriesystem HIMARS (High Mobility Artillery Rocket System) ist Teil der Bewaffnung. HIMARS wird von dem in diesem Jahr eingeführten Precision-Strike-Missile-Waffensystem abgelöst. Dessen Präzisionsrakete besitzt eine Reichweite von 500 Kilometern. Für den Frühwarn- und Flugabwehreinsatz führen die Bataillone das neue mobile Radarsystem AN/TPS-80 Ground/Air Task-Oriented Radar (G/ATOR). Die Auflösung dieses Radars ermöglicht nicht nur den Feuerleiteinsatz gegen Flugzeuge, Marschflugkörper und Drohnen. Es kann auch anhand der Flugbahn von Raketen und Artilleriegranaten den Standort des Geschützes berechnen, das somit bekämpft werden kann.
Bei der Beweglichkeit der MLR-Verbände setzt die Führung der Marines auf leichte amphibische Kriegsschiffe (Light Amphibious Warship, LAW). Jedem Regiment sollen ständig neun LAW zugeteilt werden. Gegenwärtig ist die Einführung dieses Schiffstyps aber fraglich. Denn zwischen der Navy-Führung (die letztendlich die Schiffe aus ihrem Etat beschaffen und anschließend betreiben müsste) und dem Marinekorps gibt es Streit über die Ausstattung und das Leistungsprofil der Schiffe. Angesichts knapper Beschaffungsetats dürfte die Einführung von LAW verschoben werden. Für den Transport der Einsatzgruppen stehen andere Optionen zur Verfügung – vom Docklandungsschiff bis zur schnellen Katamaranfähre. Sogar geleaste zivile Transportschiffe mittlerer Größe sind im Gespräch.
Der Autor
Sidney E. Dean ist freier Journalist mit Sitz in Suffolk, Virginia.