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Was kann die Bahn noch militärisch?

Einst optimierte Deutschland sein Eisenbahnnetz für die militärische Logistik. Von dieser Exzellenz ist heute nicht mehr viel übrig. Neue Schwächen kommen hinzu.

Symbolbild: Verladung von Bundeswehrfahrzeugen auf die Schiene an der slowenischen Adriaküste.

Foto: Bundeswehr / Wilke

Bahnbundeswehrlogistikloyal

Strategische Planungen der NATO wie auch der Bundeswehr sehen Deutschland im Bündnisfall gegen Russland als Center of Gravity. Deutschland ist als Logistikdrehscheibe ein Aufmarschgebiet für Truppenverbände und ein Korridor für Personen- und Warentransporte. Entscheidend dafür wäre die Bahn. Die ist für diese Schlüsselrolle der Logistik aber nicht gewappnet – weder mit ihrer Technik noch was ihr Streckennetz betrifft. Das zeigen bereits jetzige Sabotagefälle. Ein Beispiel: Im Oktober 2022 wurden zeitgleich im nordrhein-westfälischen Herne sowie in Berlin-Karow Lichtleiterkabel durchtrennt. Dabei öffneten die Täter nur einen Betondeckel und trennten die Kabel mit einem Trennschleifer. Beide Kabel sollten gegenseitig für Redundanz sorgen. In mehreren Bundesländern fiel in der Folge der Zugbetrieb aus.

Wie robust war das „System Schiene“ früher?

In Deutschland setzte das Militär Ende des 19. Jahrhunderts voll auf die Bahn. Das Militär war zwingend auf ein leistungsfähiges Bahnnetz angewiesen. Das Straßennetz war nicht für die Verlegung großer militärischer Verbände über weite Entfernungen ausgelegt. Deutschland hatte ein sehr engmaschig-kapillares Bahnnetz in zuverlässiger Qualität. Strecken- und Abstellgleise hatten ausreichende Redundanzen, waren mit mechanisch robuster Leit- und Sicherungstechnik ausgestattet. Der umfangreiche Lokomotivenpark kam fast ohne elektrische Triebfahrzeuge aus. In den Jahren zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg wurde beispielsweise das Streckennetz in der Eifel eisenbahntechnisch unter militärischen Vorgaben ausgebaut. Zu den Kriterien zählten Neigungswinkel der Steigungen, Kurvenradien und Traglasten von Brücken. Einige bis dahin eingleisige Strecken wurden zweigleisig ausgebaut, neue Verbindungen wurden geschaffen. Die Leistungsfähigkeit wurde durch Überführungen anstelle schienengleicher Übergänge gesteigert. Besonders der Bau der sogenannten Strategischen Bahnen folgte ausschließlich aus militärischen Absichten. So wurde die „Kanonenbahn“ von Berlin nach Metz durch das Preußische Militär veranlasst und finanziert. Das Militär wollte den raschen und umfassenden Aufmarsch gegen den damaligen Erzfeind Frankreich per Bahn ermöglichen. Dazu gab es Vorgaben für die Länge von Bahnhofsgleisen zum schnellen Beladen und mögliche Zugfrequenzen pro Tag.

Rückbau des Streckennetzes

Von dieser Exzellenz ist heute nichts mehr übrig. Im Vergleich alter Karten und Bilder oder in der Streckenanalyse aus der Satellitenbild-Perspektive fällt auf, dass nicht nur die Anzahl der Strecken während der letzten Jahrzehnte deutlich reduziert wurde. Im gesamten Streckennetz wurden unzählige Entladegleise und Anschlussgleise abgebaut. Gleiches gilt für Hafen- und Militäranschlüsse, Dieseltankstellen und dezentrale Bahnbetriebswerke der Fahrzeuginstandhaltung. Sogar auf internationalen Güterverkehrshauptstrecken wie von Aachen nach Duisburg oder an der Mittelrheinstrecke aus dem Rhein-Main-Gebiet nach Köln wurden Überhol-, Abstell- und Entladegleise abgebaut und die Infrastruktur reduziert. Auf der einstmals vom niederländischen Nijmegen nach Krefeld führenden Niederrheinstrecke besteht einzig im Bahnhof Goch noch ein zusätzliches Durchfahrgleis für Sonderzüge neben dem Regelbetrieb. Im Bahnhofsbereich Kleve wurde die nördliche Weiterführung in die Niederlande unterbrochen sowie die zweite, ab Kleve südwärts führende Strecke vollständig abgebaut – heute ist die Strecke ein Torso ohne grenzüberschreitende Funktion. Dies ist nicht der einzige, ehemalige Grenzübergang in die Niederlande ohne grenzüberschreitende Infrastruktur. Zwischen Dalheim und dem niederländischen Roermond ist die kürzeste Verbindung zwischen den belgischen Seehäfen und dem Ruhrgebiet – einst bekannt als Eiserner Rhein – nicht mehr befahrbar. Im niederländischen Grenzbahnhof Enschede versperrt ein Prellblock das durchgehende Gleis, da das aus Münster kommende Gleis eine deutsche Zugsicherung hat. Zwischen dem niederländischen Groningen und dem niedersächsischen Leer wurde die „Friesenbrücke“ über die Ems bei einer Schiffskollision 2015 zerstört.

Die Friesenbrücke entlang der strategisch wichtigen Bahnstrecke Groningen-Leer wurde 2015 durch ein Frachtschiff schwer beschädigt. Das Foto zeigt, wie das 145 Meter lange Mittelstück der neuen Brücke über die Ems eingesetzt wurde. (Foto: picture alliance / dpa)

Erst zur Mitte dieses Monats soll die neue Brücke fertiggestellt sein. Zwischen dem niederländischen Venlo und dem deutschen Viersen ist die Strecke – obwohl längst offiziell als überlastet erklärt – immer noch eingleisig. Weitere Strecken wurden abgebaut. Der deutsch-niederländische Güterverkehr verläuft heute im Wesentlichen über die drei Grenzübergänge Venlo, Emmerich und Bad Bentheim. Dabei wären die Niederlande ein entscheidender Korridor für im Bündnisfall angelandete Verstärkungen aus den USA. Das niederländische Heer wird in das der Bundeswehr integriert, was ein gemeinsames Heranführen von Truppenkörpern wichtig macht.

Viele Nadelöhre

Im sogenannten kombinierten Ladungsverkehr – wenn also Container oder ganze Lkw per Güterwaggon transportiert werden – sind die Maße der Lichtraumprofile entscheidend. Damit ist sowohl der lichte Raum gemeint, der auf dem Fahrweg von Gegenständen freizuhalten ist, als auch die Bemessung der Fahrzeuge. Exemplarisch sei im internationalen Nord-Süd-Verkehr die Mittelrheinstrecke zwischen dem Rhein-Main-Gebiet und Köln genannt: Ist dieser wichtige Güterverkehrskorridor blockiert – was schon bei einem Hangrutsch passieren kann –, so können einige Transporte nicht über die nahegelegene Siegstrecke umgeleitet werden. Denn diese hat gegenwärtig noch ein kleineres Lichtraumprofil. Sie soll erst künftig ausgebaut werden. Nachts sind dort auch immer wieder Stellwerke aus Personalmangel nicht besetzt. Im grenzüberschreitenden Verkehr sind die unterschiedlichen Zugsicherungssysteme und Stromsysteme zusätzliche technische Erschwernisse. Ein Beispiel für viele: Für den Verkehr nach Frankreich und in die Niederlande müssen elektrische Mehrsystemlokomotiven oder Diesellokomotiven genutzt werden, die auch unter den jeweils anderen Zugsicherungssystemen im Ausland fahren können – eine Zulassung des Triebfahrzeuges und eine Schulung des knappen Personals vorausgesetzt.

Weniger Loks, mehr starre Triebzugkompositionen

Ähnlich wie die Infrastruktur mit ihren Gleisen und ihrer Stellwerkstechnik hat sich auch der Rollmaterialbestand verändert. Bis in die Nachkriegszeit wurden die meisten Züge in Lok-Wagen-Kombination gefahren. Es gab eine große Anzahl von elektrischen und dieselbetriebenen Rangier- und Streckenlokomotiven, die einfach von einem an einen anderen Zug umgehängt werden konnten. Heute dominieren Triebzüge wie der ICE, die sich nicht beliebig kombinieren lassen. Der Bestand an dieselbetriebenen Streckenlokomotiven, die sowohl Güter- wie auch Personenzüge ohne Oberleitung auf fast jeder Strecke ziehen können, ist dagegen massiv zurückgegangen. Gleiches gilt für Güterwagen wie Kühl-, Schüttgut- und Flachwagen. Lediglich Container-, Tank- und Schiebewandwagen spielen heute noch eine große Rolle. Im Kalten Krieg gab es auch europaweit genormte Personenwagen, die man beliebig an Lokomotiven hängen konnte. Die heutigen Triebzüge funktionieren meist nur in ihrem nationalen Zugsicherungssystem und können Grenzen nicht überqueren. Jedoch haben die französischen Staatsbahnen (SNCF) während der Covid-Pandemie gezeigt, dass auch Hochgeschwindigkeitszüge in Triebwagentechnik für den Krankentransport geeignet sind: TGV-Züge wurden umgebaut und für den raschen, gebündelten Patiententransport über lange Distanzen innerhalb Frankreichs eingesetzt.

Transport von Panzerhaubitzen mit der Bahn: Für die Logistik-Drehscheibe Deutschland ist ein leistungsfähiges, militärisch nutzbares Bahnsystem von großer Bedeutung. (Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto)

Digitalisierung erleichtert Sabotage

All das muss gegen Sabotage geschützt werden – ein schwieriges Unterfangen. Gegenwärtig werden zum Beispiel neue Strecken mit rein digitaler Signalisierung gebaut. Beim europäischen Zugsicherungssystem „ETCS-Level 2“ heißt das: Die Daten werden direkt an das Triebfahrzeug gesendet. Aber eine Rückfallebene wie stationäre Signale und deren Stellwerke fehlen – so zum Beispiel künftig im Bahnhof Stuttgart 21. Diese Strecken können nur mit speziell dafür aus- oder umgerüsteten Triebfahrzeugen befahren werden. Oftmals müssen die Betreiber nach der Umrüstung auf ETCS eine teure und langwierige Neuzulassung ihrer Fahrzeuge beantragen. Bereits kleine hybride Attacken auf diese digitale Infrastruktur können die militärische Leistungsfähigkeit beinträchtigen. Man könnte hier bestenfalls noch in Schritttempo auf Sicht fahren. Frühere dezentral gesteuerte Signale waren in der Fläche nur schwer zu sabotieren.

Besondere Schwachstellen

Auch Sonderbauwerke sind Achillesfersen der Bahnlogistik: Da sind beispielsweise der Kanaltunnel zwischen Frankreich und Großbritannien, Eisenbahnfähren wie vom italienischen Festland nach Sizilien, Brücken im Bereich der Ostsee wie die Fehmarnbelt- oder die Öresund-Brücke und die Alpentunnel. Eines dieser Ausfallszenarien ist im August 2023 eingetreten: Ein Güterzug erlitt im Gotthardtunnel einen Radbruch und beschädigte das Gleis sowie den Gleiskörper im Tunnel. Aufgrund der Sanierungsarbeiten war der Tunnel, einer der wichtigsten europäischen Nord-Süd-Strecken, mehr als ein Jahr nur eingleisig befahrbar. Glücklicherweise trägt die historische Bergstrecke einen Teil der Umleitungsverkehre und mit dem weiter westlich gelegenen Lötschberg-Basistunnel besteht eine weitere Redundanz.

Lagebild und Kooperation sind entscheidend

Die militärischen Planer müssen zusammen mit den Bahnen die Bedarfe für den Bündnisfall analysieren. Denn dann sind sowohl die militärische wie auch die zivile Leistungsfähigkeit bis zum Maximum gefordert. Wo sind Engstellen im Bahnnetz, welche einfach sabotiert werden können, um komplette Korridore zu lähmen? Welche Ausweichrouten stehen ad hoc mit welchen Parametern zur Verfügung? Welchen Zugang haben Sonderbauten wie Brücken und wie wird die Treibstofflogistik organisiert? All das muss in einem Lagebild erfasst werden. Dazu kommt das im Katastrophenschutz viel zitierte Prinzip des „In der Krise Köpfe kennen“: Welche Expertise und welche Hilfsmittel sind wo verfügbar? Gibt es Verbindungsmitarbeiter zwischen Bahn und Militär? Sind Ansprechpartnerlisten gepflegt und werden sie beübt? Kommunikationswege müssen definiert werden, Einsatzleitzentralen und Kommandostrukturen müssen bekannt sein. Dazu kann im Kleinen zählen, Infrastrukturkarten und Rollmaterial-Kataster nach militärischen Kriterien zu erstellen und Infrastrukturvorhaben nach militärischen Belangen mitzuplanen und zu finanzieren. Vielleicht muss auch der ein oder andere Güterwagentyp – wie Tankwagen für Trinkwassertransporte – neu beschafft, und Entladegleise müssen reaktiviert werden.

Wie belastbar ist das „System Schiene“?

Insgesamt hat das deutlich zentralisierte Schienennetz in Streckendichte, Energieversorgung und Zugsicherungssystemen gegenüber früheren Jahrzehnten an Resilienz verloren. Dazu kommen für Neubauten lang dauernde Finanzierungs- und Genehmigungsverfahren sowie im täglichen Betrieb langwierige Freigabeprozeduren für Fahrplanslots, Schwertransporte und Zollformalitäten. Es gibt deutlich zu wenig Strecken und Gleiswechselmöglichkeiten, vereinheitlichte Standards und robuste Triebfahrzeuge.


Der Autor

Benedikt Haufs (46) ist Einsatzkraft einer Notstrom-Einheit der Freiwilligen Feuerwehr. Hauptberuflich arbeitet er in der Energieindustrie. Als Fachautor für Infrastruktur schreibt er europaweit für Fachzeitschriften zu Eisenbahnbetrieb, Verkehrsgeografie und Katastrophenschutz.

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