Wellen vor Wangerooge
Die Deutsche Marine hat mit der neuen Baden-Württemberg-Klasse die modernsten Fregatten ihrer Art bekommen. Deren Einsatzspektrum soll breiter denn je sein – wenn irgend-wann einmal die komplexe Technik funktioniert. Damit hapert es auf der namensgebenden „Baden-Württemberg“ auch nach vier Jahren Erprobung und 75.000 Seemeilen immer noch. Eindrücke von einer Mitfahrt in heimischen Gewässern.
Mittwochmorgen auf hoher See. Bis zu zwei Meter hoch gehen die Wellen vor Wangerooge, Segler bleiben heute schön im Hafen, die Nordsee gehört bei diesen Bedingungen besser den Profis. Ein paar Hochseefischer haben Wilhelmshaven im Morgengrauen verlassen und passieren nach knapp einer Stunde bei Wetter grau in grau ein Kriegsschiff: die Fregatte „Baden-Württemberg“. Das Schiff mit der Kennung F222 hat die Nacht vor Anker verbracht. Jetzt, gegen acht Uhr, geht an Bord alles auf Station. Auf den Gängen herrscht Stille, aber hinter den schweren Stahltüren der Operationszentrale (OPZ) und auf der Brücke ist Betrieb. Es stehen Tests an, wieder einmal.
Weit draußen, etwa zwei Meilen nördlich der eigenen Position, macht sich die Besatzung eines hochmotorisierten Feststoffboots bereit, um Besatzung und Technik der „Baden-Württemberg“ zu prüfen. Es soll dem 7000-Tonnen-Schiff an den Kragen gehen. Jedenfalls ist das der Übungsauftrag des Mannes am Ruder, Obermaat Michel Rettig – Simulation eines Angriffs. Der frühere Soldat des Wachbataillons ist seit ein paar Jahren bei der Marine. Auf der Fregatte dient er gerne. Aber die Leidenschaft erwacht in Rettig erst so richtig, wenn er eines der vier „Buster“-Boote durch die Wellen jagen kann, zehn Meter lang, bis zu 40 Knoten schnell – das sind rund 75 Stundenkilometer. Mit ihnen kann man Spezialkräfte anlanden oder Boardings durchführen. Wie die übrigen vier Besatzungsmitglieder des Busters reitet Rettig auf einem gefederten Sitz, der die Wucht der Wellen abfängt, wenn der Jet-Antrieb das Boot über das Wasser peitscht. Rettig greift an.
An Bord der Fregatte ist alles zur Abwehr bereit. Sollte es jedenfalls sein. Denn die 145 Meter lange „Baden-Württemberg“ ist genau dafür gebaut. Die Bekämpfung asymmetrischer Bedrohungen gehört zu ihren Spezialitäten. Leider klappt das mit der Elektronik, dem „innovativen Schwerpunkt“ der neuen 125er-Schiffsklasse der Marine, noch nicht wie erhofft. An Bord befindet sich modernste Aufklärungstechnik, etwa die sogenannte „Multisensorplattform MSP 600“ oder „Simone“. Das steht für „Ship Infrared Monitoring, Observation and Navigation Equipment“. Technik also vom Feinsten. Die Frage an diesem Morgen ist, ob „Simone“ tut, was sie tun soll. Mal abwarten. Die Fregatte wird heute nicht nur von See, sondern auch aus der Luft von verschiedenen Seiten angegriffen. Schon heult ein Jet im Tiefflug über die „Baden-Württemberg“ hinweg. Von Süden fliegt dicht über den Wellen und dem angreifenden Buster ein Helikopter heran, Rettig kann quasi die Armbanduhr des Piloten ablesen, so tief donnert der Hubschrauber über ihm. Dann blitzt von der Fregatte ein Laserlicht auf: Der Buster ist erfasst! Das wendige Jet-Boot dreht ab. Später wird es erneut angreifen. Die Techniker der Firma Atlas an Bord sind erst einmal ganz zufrieden mit den Ergebnissen.
Nach vier Jahren noch nicht einsatztauglich
Auf dem Schiff verlässt der Erste Offizier Robert Böttcher die Brücke und verschwindet in seiner Kammer, die zugleich sein Büro, Wohn- und Schlafzimmer an Bord ist. Es gibt bei solchen Übungen viel zu tun, leider auch viel zu schreiben. Ein Leutnant zur See hat auf der Brücke den Kurs berechnet und gibt nun den Steuerleuten die Kommandos. Dabei steht der junge Offizier unter der Aufsicht eines erfahrenen Navigationsoffiziers, Kapitänleutnant Alexander Ludwig. Der kennt im Seegebiet vor Wangerooge jede Untiefe und jede Tonne beim Vornamen und bombardiert den Nachwuchs mit Fragen und Vorschlägen. Das dient der Ausbildung und der Bewährung für künftige Herausforderungen. Wann die kommen, ist aber ungewiss. Denn obwohl die „Baden-Württemberg“ im Frühjahr 2020 endlich ihre Einsatzprüfung absolviert hat, wird immer noch eine Heerschar von Firmentechnikern an Bord benötigt, um die innovativen Systeme funktionstauglich zu machen. Niemand an Bord macht viele Worte über diese Lage, aber bei Nachfragen zeigt sich deutlicher Frust darüber, dass die Fregatte auch nach vier Jahren praktischer Erprobung und mehr als 75.000 Meilen auf See noch immer versucht, einsatztauglich zu werden.
Die „Baden-Württemberg“ ist, wie ihre drei Schwesterschiffe für Stabilisierungseinsätze in fernen Gewässern entwickelt worden – im Mittelmeer, im Persischen Golf, wo auch immer. Sie kann Kommandostäbe aufnehmen, eine Kompanie Seesoldaten, auch Flüchtlinge. Für die klassische Auseinandersetzung, etwa mit anderen Kriegsschiffen, ist sie weniger geeignet. Sie kann weder anfliegende Raketen noch Flugzeuge von fern so gut abwehren wie andere Fregatten. Auch taugt sie nicht besonders zur U-Boot-Jagd. Der bisherige Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause, ist dennoch überzeugt von dem Schiff. Es müsse, sagte Krause kurz vor seinem Abschied, „kämpfen können gegen die Bedrohung, für die wir sie vorgesehen haben. Und das kann sie auch“. Ihre Domäne sei nicht der intensive mehrdimensionale Seekrieg. Aber: „Die Fregatte ist sehr stark im Überwasserseekrieg, sie ist sehr stark gegen asymmetrische Bedrohungen.“ Die Marine hofft innig, dass bald die neuen Marinehubschrauber zulaufen, die Sea-Tiger. Mit denen könnte die „Baden-Württemberg“ dann auch auf U-Boot-Jagd gehen. Um die Hubschrauber an Bord unterbringen zu können, sind allerdings noch einige Umbauten im Heli-Deck nötig. Noch landen, wie an diesem Nachmittag, die guten alten Sea-Lynx auf dem Achterdeck. Aber es gibt von ihnen nur wenige, die einsatzklar sind.
Jetzt nimmt die „Baden-Württemberg“ wieder Fahrt auf. Rettig und der Buster kehren zurück zum Schiff. Der Himmel ist noch grauer geworden, als das Boot mit einem Spezialkran an Bord gehievt wird. Vier Buster hat die Fregatte, je zehn Soldaten können darin befördert werden. Auf jeder Bordseite bietet die Fregatte jeweils zwei gepanzerte Hangars für die Boote, man kann das an den charakteristischen Toren in der Schiffsmitte erkennen, hinter denen sie sich verbergen.
Unfassbar, was alles nicht funktioniert
Mit der Bewaffnung der Fregatte klappt es auch nicht so recht. Genau genommen ist es unfassbar, was auf diesem hochmodernen Kriegsschiff alles nicht funktioniert oder nicht benutzt werden darf: die fünf neuartigen, ferngesteuerten schweren Maschinengewehre etwa, oder auch das recht kräftige 127-Millimeter-Leonardo-Geschütz. Da wartet man noch auf neue Munition. Doch wenn alles mal da ist, könnte die Fregatte durchaus kämpfen. Vor allem aber sollen die F-125er-Schiffe enorm „durchhaltefähig“ sein. Das bedeutet: Keine andere Fregatte oder Korvette der Marine könnte so lange ununterbrochen in fernen Gewässern kreuzen – bis zu zwei Jahre. Damit wäre etwa bei den gegenwärtigen Einsätzen im Mittelmeer die ewige Hin-und-her-Fahrerei überflüssig. Und das mit kleinerer Besatzung.
Nie hatte eine Fregatte weniger Leute an Bord. 126 Frauen und Männer führen das große Schiff. In dieser Woche sind es knapp 100. Die meisten haben mindestens zwei oder drei Aufgaben. Auf älteren Fregatten dienen rund 200 Soldaten. Weniger Mannschaft an Bord bedeutet einerseits mehr Platz, aber der Dienst ist auch anstrengender geworden. Statt des Drei-Schicht-Systems auf älteren Fregatten gilt auf der „Baden-Württemberg“ der „2er-Wachstopp“, also sechs Stunden auf Wache, dann Essen, Freizeit, Schlafen – selten mehr als vier Stunden am Stück -, dann wieder Seewache.
Anspruchsvolles Ziel
Das schlaucht auf die Dauer ganz schön, wie Christian Müller sagt, der Erste Offizier. Man trifft ihn zu fast zu jeder Tag- und Nachtzeit irgendwo auf der Fregatte. Der Thüringer schläft scheinbar nie. Für die „Baden-Württemberg“ ist ebenso wie für ihre drei Schwesterschiffe vorgesehen, jeweils drei Besatzungen auszubilden, die Alpha-, Bravo- und Charlie-Crew. Die könnten dann im Auslandseinsatz nach jeweils vier Monaten abgelöst werden. Im Augenblick dient die Bravo-Besatzung auf der Fregatte. Wenn einmal alle vier geplanten Schiffe in Dienst gestellt sind, braucht man also zwölf ausgebildete Crews. Die bereit zu halten, ist ein anspruchsvolles Ziel für die Marine. Noch ist es nicht erreicht. Dabei könnten im kommenden Herbst alle vier Schiffe der Klasse in Dienst sein.
Fregattenkapitän Andreas Konz hat viel dafür getan, die Bravo-Besatzung auszubilden. In einen Einsatz durfte er während seiner Zeit auf dem Schiff nicht. Im Spätherbst 2020, wenige Wochen nach der Übungsfahrt in der Nordsee, endete seine Zeit an Bord. Die „Baden-Württemberg“ sollte in die Werft gehen, ein turnusmäßiger Aufenthalt. Der verzögert sich allerdings. Werften streiten vor Gericht um den Auftrag. Demnächst will die Marine ein Schiff in den Indo-Pazifik entsenden. Es soll ein Zeichern der Verbundenheit mit Partnern wie Australien, Neuseeland oder Japan sein. Eine lange Seereise steht also bevor. Eigentlich eine ideale Mission für die 125er Klasse. Doch wie es aussieht, wird wegen der anhaltenden Probleme nicht die „Baden-Württemberg“, sondern die viel ältere, aber bewährte Fregatte „Bayern“ in See stechen.
Über den Autor
Peter Carstens ist sicherheitspolitischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung