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Werden die USA Taiwan zur Seite stehen?

Bislang achten Peking und Washington auf den Status quo. In den USA mehren sich neuerdings Stimmen, die wieder eine echte Beistandszusage für Taiwan verlangen.

Antreten der Besatzung der "USS Rafael Peralta" vom vorgeschobenen Zerstörergeschwader 15 der U.S. Navy im Indopazifik.

Foto: U.S. Navy

chinaindopazifiktaiwan

Seit Anerkennung der Volksrepublik China in den 1970er-Jahren vollzieht Washington einen Balanceakt, um Peking von einer Invasion Taiwans abzuhalten. Der politische Grundstein dieses Dreiecksverhältnisses ist im Grundsatz „Eine Nation, zwei Staaten“ verankert. Die zunehmend nationalistische Politik der Regierung von Präsident Xi Jinping stellt diesen Grundsatz infrage: Schiffe und Flugzeuge der chinesischen Streitkräfte dringen immer öfter – auch als Großverband – in taiwanesisches Territorium ein. Washington sucht nach der angemessenen Reaktion.
Zwischen 1949 und 1979 erkannte Washington ausschließlich die in Taipeh ansässige Regierung der Republik China als legitime chinesische Regierung an. Im Verlauf der 1970er-Jahre begann dann eine Annäherung an Peking. Dies führte 1979 zur diplomatischen Anerkennung der Volksrepublik und dem gleichzeitigen Ende der offiziellen Anerkennung der Regierung in Taipeh. Der Begriff „Republik China“ wurde im amtlichen Schriftverkehr der USA durch „Regierungsbehörden auf Taiwan“ ersetzt.

Dennoch blieben die Beziehungen zum demokratischen Teil Chinas sehr eng. Das Verhältnis wurde durch den 1979 in Kraft getretenen Taiwan Relations Act (TRA) neu geregelt. Dieses Gesetz wurde mit großer Mehrheit im Kongress verabschiedet. Ihm war an einer fortgesetzten Unterstützung der prowestlichen Regierung in Taiwan gelegen, und dies gewährleistete der Taiwan Relations Act. Er schreibt vor, dass die USA weiterhin de facto diplomatische Beziehungen zur Insel pflegen, und dass Taiwan dieselbe Behandlung wie „fremde Nationen, Regierungen oder entsprechende Körperschaften“ genießen solle. Die als American Institute in Taiwan (AIT) bezeichnete Interessenvertretung der USA ist formell eine privatrechtliche Einrichtung, gilt jedoch faktisch als Botschaft der USA. Das amerikanische Außenministerium und andere Ministerien stellen turnusmäßig Personal an diese Vertretung in Taipeh ab.

Flexible Solidarität

Das 1955 vereinbarte bilaterale Verteidigungsabkommen zwischen Washington und Taipeh musste allerdings 1979 geopfert werden. An Stelle der festen Beistandsverpflichtung im Falle eines Angriffs durch die Volksrepublik trat eine flexibel auslegbare Solidaritätsbekundung im Rahmen des Taiwan Relations Act. Dieser verpflichtet die US-Regierung, Taiwan mit Militärausrüstung einschließlich „defensiver Waffen“ zu versorgen um eine „ausreichende Verteidigungsfähigkeit“ zu gewährleisten. Ferner behält sich Washington das Recht vor, im Falle einer kriegerischen Bedrohung Taiwans militärisch einzugreifen; eine Eingreifverpflichtung besteht jedoch nicht. Die jeweilige Entscheidung hinsichtlich der materiellen Unterstützung sowie einer militärischen Intervention liegt im Ermessen des US-Präsidenten und des Kongresses.

Diese Politik der „strategischen Ambiguität“ wurde gezielt gewählt, um beide chinesischen Regierungen vor destabilisierenden Handlungen abzuhalten. Peking muss annehmen, dass ein Angriff auf Taiwan zu einem Krieg mit den USA führen würde. Auch Maßnahmen unterhalb der Schwelle einer Invasion – etwa wirtschaftliche Druckmittel oder ein Embargo gegen die Insel – werden nach amerikanischer Lesart bereits als „Bedrohung von Frieden und Sicherheit im Westpazifik“ und US-amerikanischer Interessen betrachtet. Andererseits soll die Regierung in Taipeh von Provokationen Pekings abgehalten werden. So könnte Taiwan im Falle einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung nicht automatisch mit US-amerikanischer Militärunterstützung rechnen. Die Ambiguität der Washingtoner Haltung zielt somit auf eine Stabilisierung des Status quo ab.

Taiwans Streitkräfte üben 2019 das Zerschlagen einer amphibischen Anlandung chinesischer Truppen im Süden der Insel. (Foto: imago images / Kyodo News)

Um dennoch die Regierung in Taipeh zu beruhigen, wurden 1982 sechs Zusicherungen an Taiwan formuliert. Washington schließt im Rahmen dieser Zusicherungen unter anderem eine künftige Einflussnahme Pekings auf die US-amerikanischen Waffenlieferungen an Taiwan aus. Die Zusicherungen bestätigen ferner, dass die USA sich hinsichtlich der Souveränität Taiwans jeglicher Position enthalten, bis diese Frage einvernehmlich zwischen Peking und Taipeh geregelt wird.

Verwirrende Aussagen

Im Verlauf der letzten vier Jahrzehnte bestätigte der US-Kongress jährlich die weitere Gültigkeit des Taiwan Relations Acts und der genannten Zusicherungen als offizielle Richtlinien der Beziehungen zu Taiwan. In den vergangenen Monaten sorgten Aussagen von Präsident Joe Biden allerdings mehrfach für Verwirrung. Der Präsident schien dabei von einer formellen Beistandsverpflichtung auszugehen. Im August zitierte er Taiwan im gleichen Atemzug mit Japan und Südkorea als der NATO gleichgestellte Bündnispartner. Im Oktober erklärte er im Rahmen einer Fragestunde, dass die USA Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs verteidigen würden. „Wir sind dazu verpflichtet“, erklärte er offenbar in Unkenntnis der völkerrechtlichen Verpflichtungen der USA auf CNN. Am 16. November sagte er schließlich Journalisten: Taiwan „ist unabhängig. Es trifft seine eigenen Entscheidungen“.

Das Weiße Haus und das State Department korrigierten jedes Mal dahingehend, dass die bisherigen Richtlinien weiterhin gelten. Nichtsdestotrotz ist eine schleichende Verlagerung der US-Haltung wahrnehmbar. Nur drei Tage nach dem Amtsantritt von Präsident Biden drängte das State Department die Volksrepublik China, „ihren militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Druck auf Taiwan einzustellen und stattdessen einen ernsthaften Dialog mit den demokratisch gewählten Vertretern Taiwans aufzunehmen“. Washington kündigte gleichzeitig die Absicht an, „unsere Verbindungen mit dem demokratischen Taiwan zu vertiefen“.

Chinas Präsident Xi Jingping vor einer Ehrenformation der Volksmarine. (Foto: imago images / Xinhua)

Seitdem ermahnte die US-Regierung wiederholt die Volksrepublik China, die Unstimmigkeiten mit Taiwan friedlich zu regeln. „Es wäre ein grober Fehler, sollte irgendjemand versuchen, den Status quo gewaltsam zu ändern“, erklärte Außenminister Antony Blinken schon im Mai. Auf Drängen Washingtons wurde die Forderung nach „Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße“ auch in den Abschlusskommuniqués US-amerikanischer Gipfeltreffen mit asiatischen und europäischen Partnern aufgenommen. Dieser Trend zugunsten Taiwans findet in Washington überparteiliche Unterstützung und führt eine Entwicklung fort, die sich bereits in der vorhergehenden Regierung abzeichnete.

Eskalierende Spannungen

Sie steht im direkten Zusammenhang mit den eskalierenden Spannungen Washingtons mit Peking. Bereits seit der Amtszeit von Präsident Barack Obama gilt die Volksrepublik China als größte strategische Bedrohung US-amerikanischer Interessen. Die zunehmend nationalistische und expansionistische Politik Pekings erinnert viele Beobachter an die Entwicklungen in Japan während der 1920er-Jahre. Seit einem guten Jahrzehnt versucht die US-Regierung, die asiatisch-pazifischen Verbündeten sowie neue regionale Sicherheitspartner für eine engere multilaterale Verteidigungskooperation zu gewinnen. Diese Politik zielt darauf ab, die durch Drohungen gekennzeichnete Außenpolitik Pekings einzudämmen und die Volksrepublik von einer regionalen militärischen Aggression abzuhalten.

Besonders kritisch ist dabei die Taiwanfrage. Das Selbstverständnis der kommunistischen Regierung schließt jede Möglichkeit einer Abspaltung der Insel von Großchina aus. Das Anti-Sezessionsgesetz der Volksrepublik von 2005 schreibt fest, dass Peking im Falle einer taiwanesischen Unabhängigkeitserklärung „nichtfriedliche Mittel sowie weitere notwendige Maßnahmen“ anwenden wird, um Chinas „territoriale Integrität“ zu wahren. Doch selbst ohne offizielle Sezessionserklärung Taiwans sieht das Gesetz die gleichen Maßnahmen vor, falls Peking zu der Überzeugung kommt, dass sämtliche friedlichen Möglichkeiten der Wiedervereinigung erschöpft sind. Präsident Xi Jinping forderte Anfang 2021 die Volksbefreiungsarmee auf, ihre Modernisierung zu beschleunigen, um ab 2027 in der Lage zu sein, Taiwan einzunehmen.

Rückt der Krieg näher?

Der inzwischen pensionierte Befehlshaber des teilstreitkraftgemeinsamen Indo-Pazifischen Oberkommandos (USINDOPACOM), Admiral Philip Davidson, warnte vor einem Jahr, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Invasion Taiwans „innerhalb der nächsten sechs Jahre” bestehe, um dem US-amerikanischen Kräfteaufbau zuvorzukommen. „Ich finde keine andere Erklärung für bestimmte Aspekte des [chinesischen] militärischen Aufbaus,” erklärte Davidson vor dem Streitkräfteausschuss des US-Senats. Sein Nachfolger Admiral John Aquilino erklärte zur gleichen Frage: „Meines Erachtens liegt dieses Problem wesentlich näher als allgemein angenommen.“

Beim Flottenmanöver „Maritime Partnership“ 2021 trainierte die U.S. Navy Operationen im Indopazifik mit den verbündeten Marinen Japans, Australiens und Großbritanniens. (Foto: U.S. Navy)

Aquilino verwies auch auf die größeren strategischen Implikationen einer chinesischen Einnahme Taiwans. Erstens würde die Kontrolle über die strategisch wichtige Insel den Streitkräften der Volksrepublik ein wesentlich größeres Machtprojektionspotenzial bescheren und Peking die vollständige Dominanz über die ostasiatischen Handelsrouten geben. Zweitens würde eine chinesische Übernahme der Insel die Glaubwürdigkeit der US-amerikanischen Beistandsverpflichtung für Alliierte wie Japan oder Südkorea infrage stellen. „Im Falle eines Konflikts um Taiwan steht der Status der USA als Verbündeter und Partner auf dem Spiel“, sagte Aquilino vor dem US-Senat. Generalstabschef Mark Milley betonte noch im November, dass das US-Militär imstande wäre, Taiwan vor einer chinesischen Invasion zu schützen.

Im Kongress wächst über die Parteien hinweg der Druck, sich von der Politik der strategischen Ambiguität abzuwenden. Immer mehr Abgeordnete plädieren für eine offene Beistandszusage für Taiwan, nicht zuletzt um eine Fehlkalkulation durch Peking zu vermeiden. „Eindeutigkeit führt zu einer wirksamen Abschreckung”, so kürzlich ein Mitarbeiter der Demokratischen Senatsfraktion im Sender CNN. Alternativ besteht der Vorschlag, dem Präsidenten größere Entscheidungsvollmacht hinsichtlich einer militärischen Intervention zu geben.

Das Außenministerium hält dagegen und warnt, dass Peking eine Änderung der offiziellen US-Politik als Bruch sämtlicher Vereinbarungen hinsichtlich Taiwan bewerten könnte. Gleichzeitig könnte sich Taipeh zu einer Unabhängigkeitserklärung ermutigt fühlen und dadurch die befürchtete chinesische Invasion erst provozieren. Vorerst genießt diese Position auch im Kongress und im Weißen Haus noch die Mehrheit. Bis auf Weiteres dürfte die Politik der strategischen Ambiguität also bestehen bleiben. Sie bleibt aber ein Pokerspiel mit extrem hohem Einsatz.

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