Wo sind die Frauen in der Bundeswehr?
Bei den jungen Frauen wird die Bundeswehr als Arbeitgeber immer unattraktiver, das zeigt die aktuelle Bevölkerungsumfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Offizierinnen bei der Bundeswehr sind sich sicher: Das liegt vor allem an den fehlenden weiblichen Vorbildern.
Es ist eine erschreckende Zahl: Seit 2018 hat sich der Anteil der jungen Frauen, die die Bundeswehr als attraktiven Arbeitgeber für junge Menschen empfinden, in etwa halbiert. Das ist eines der Ergebnisse der Bevölkerungsumfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), den das Zentrum Mitte Februar herausgegeben hat und für das 2.200 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger befragt wurden.
Dieses Umfrageergebnis dürfte Verteidigungsminister Boris Pistorius nicht gefallen, hatte er doch in den vergangenen Monaten betont, vor allem Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund zur Linderung der Personalprobleme der Bundeswehr ansprechen zu wollen.
Warum finden junge Frauen die Bundeswehr zunehmend unattraktiv?
Loyal hat bei mehreren Soldatinnen nachgefragt, die in der Bundeswehr Führungspositionen innehaben. Deren Einschätzung: Junge Frauen nehmen die Bundeswehr nicht als attraktiven Arbeitgeber wahr, weil die „Role Models“, also die weiblichen Vorbilder fehlen. Frauen also, die in der Bundeswehr Karriere gemacht haben und mit denen sich junge Frauen identifizieren können. Die Zahlen geben den befragten Offizierinnen recht: Selbst im Sanitätswesen, wo Frauen schon seit den 1970er Jahren aktiv sind, gibt es nur drei Frauen im Generalsrang (eine Frau Generalstabsarzt und zwei weibliche Generalärzte). Im Rest der Bundeswehr gibt es noch keine Frau im Generalsrang. Das ist angesichts der Tatsache, dass erst im Jahr 2001 alle Verwendungen für Frauen geöffnet wurden und eine lange Dienstzeit notwendig ist, um in den Generalsrang vorzustoßen, auch nicht verwunderlich. Laut Verteidigungsministerium ist erst im Jahr 2029 damit zu rechnen, dass eine Frau in die Ränge der Generale aufsteigt. Aber, und das ist schon bezeichnend, es gibt auch erst drei Frauen mit Dienstgrad „Oberst/Kapitän zur See“ in der Bundeswehr (ohne Sanität), so das Verteidigungsministerium auf Anfrage von loyal. Wie viele Frauen mit Dienstgrad „Oberst“ es in der Sanität gibt, darauf gab es keine Antwort aus dem Verteidigungsministerium.
„Es gibt immer noch viel zu wenige Frauen in Führungspositionen“, kommentiert eine Soldatin im Dienstgrad Oberst diese Zahlen. Loyal hat mir ihr gesprochen, die Offizierin möchte aber anonym bleiben. Laut der Offizierin habe Ursula von der Leyen in ihrer Zeit als Verteidigungsministerin das Thema „Frauen in Führungspositionen bei der Bundeswehr“ sehr gepusht und die öffentliche Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Das habe dazu geführt, dass (männliche) Vorgesetzte damals gezielt darauf geachtet hätten, passende weibliche Kandidatinnen für Führungspositionen zu finden und zu fördern – natürlich bei gleicher Eignung und Leistung wie die männlichen Soldaten. Auch sie habe als junge Offizierin einen Vorgesetzten gehabt, der sie gezielt gefördert habe – von Kompaniechefin, auf den Generalstabsdienstlehrgang, zur Abteilungsleiterin.
Doch dieses Momentum sei nun vorbei, sagt auch eine Referentin im Verteidigungsministerium mit Dienstgrad Oberstleutnant, mit der loyal gesprochen hat, die aber auch anonym bleiben möchte. Mit Ukrainekrieg und zunehmendem Fokus auf die Landes- und Bündnisverteidigung beobachten die beiden Soldatinnen sogar einen Roll-Back in Sachen Mentalität. Die (hauptsächlich männliche) Führungsebene würde sich nun wieder „typisch militärischen“ Themen zuwenden wollen – schnelle Verlegbarkeit an die Ostflanke, Kampf gegen russische Einheiten – und sähen das Thema „Frauenförderung“ als wenig wichtig an. Beide Offizierinnen haben sogar das Gefühl, dass viele männliche Kollegen es mit Erleichterung sähen, dass Themen wie „Kinderbetreuung“, „Teilzeitarbeit“ oder auch „Frauenförderung“ in den Hintergrund gedrängt würden – und nun die „reine Kampfkraft“ wieder im Vordergrund stehe.
Was ist die Lösung?
Aus Sicht der Offizierinnen müsste sich einiges ändern, damit Frauen in der Bundeswehr einen attraktiven Arbeitgeber, in dem man auch als Frau Karriere machen könnte, sähen. Erstens: Es bräuchte flexiblere Karrierewege. Im Moment ist es noch so, dass Offizierinnen und Offiziere alle zwei bis drei Jahre eine neue Verwendung antreten müssen – mit Führungsverwendung in der Truppe aber auch im Ministerium und Generalstabslehrgang in Hamburg. Damit steht alle zwei bis drei Jahre ein Umzug und eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes an. „Bei den Männern gibt es bereits einige Beispiele, wie jemand General wurde, ohne diese strenge Abfolge an Karriereschritten mitmachen zu müssen. Warum nicht auch bei den Frauen?“, sagt die Offizierin im Rang „Oberst“. Solche Positivbeispiele könnten andere ambitionierte Frauen motivieren und ein Zeichen setzen, so die Offizierin.
Zweitens: Eine bessere Kinderbetreuung sei von Nöten. Wer kümmert sich um mein Kind, wenn ich zu einem Lehrgang oder in den Auslandseinsatz muss? Diese Frage sollte die Bundeswehr für jede Soldatin und jeden Soldaten klar beantworten können, so die Referentin im Verteidigungsministerium im Gespräch mit loyal. Im Moment sei es noch so: Entweder man bleibe kinderlos oder habe einen Mann und Großeltern, die sich mit um die Kinder kümmern. Ansonsten sei eine Karriere als Mutter fast nicht machbar – zu groß ist die Erwartung, über die Dienstzeiten hinaus ansprechbar und zeitlich und örtlich flexibel zu sein. Als Alleinerziehende – das sind in Deutschland immerhin 18 Prozent der Eltern, darunter die meisten Frauen – ist das so gut wie unmöglich. Viele junge, ambitionierte Frauen entscheiden sich auch aus diesem Grund gegen eine Teilnahme beim Generalstabslehrgang oder verlassen nach ihrer Zeit als Zeitsoldatin die Bundeswehr, so die von loyal interviewte Referentin im Verteidigungsministerium. Es gäbe aktuell auch keinerlei Klima, in dem junge Frauen sich wohl fühlen. Auch hätten immer weniger Frauen Lust darauf, sich diesem Kampf gegen die Männerbünde zu stellen, wirft die hochrangigere Offizierin ein.
Die beiden Offizierinnen erhoffen sich, dass von der politischen Führung die Förderung von Frauen wieder klar priorisiert wird und Vorgesetzte wieder darauf hingewiesen werden, gezielt nach geeigneten Frauen für Führungspositionen zu suchen. Denn sonst fürchten sie, dass es weiter so läuft wie es das bisher meist tut: Nach dem Prinzip „Gleiches fördert gleiches“. Also ältere Vorgesetzte fördern junge Männer, die so sind wie sie damals als sie jung waren.