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Panorama

Wohin heben die Briten ab?

Nach dem Brexit will das Vereinigte Königreich als „Global Britain“ weltweit Macht demonstrieren. Den Streitkräften soll dabei eine entscheidende Rolle zukommen. Doch das wird schwierig. London sitzt zwischen allen Stühlen.

Die „Queen Elizabeth“ – erster von zwei neuen Flugzeugträgern der Royal Navy – ist das Symbol für die Ambitionen verstärkter globaler Machtprojektion Großbritanniens.

Foto: Tam McDonald / Crown

brexitgroßbritannien

Ein halbes Jahr ist der Brexit her. Großbritannien steckt momentan mitten in heiklen Verhandlungen mit der Europäischen Union über die Ausgestaltung der künftigen Beziehungen – Ausgang ungewiss. Mit dem Brexit müssen sich auch die britischen Streitkräfte neu finden. Denn nun gilt die strategische Konzeption eines „Global Britain“. Der Anspruch: Nach dem EU-Austritt soll das Vereinigte Königreich konsequent global Macht demonstrieren. Als historisches Leitbild dient dabei aber nicht etwa das britische Empire, wie der Begriff vermuten lässt. „Die Brexiteers bemühen das Bild der jungen Handelsnation der Frühen Neuzeit, die sich als Freibeuter auf den Weltmeeren gegen etablierte Mächte wie Spanien behauptet“, so die Historikerin und Publizistin Helene von Bismarck, die seit langem das Verhältnis Großbritanniens mit der EU erforscht, im Gespräch mit loyal.

Das „Global Britain“-Konzept, wie es von der britischen Regierung kommuniziert wird, spricht den Streitkräften eine entscheidende Rolle zu. Großbritannien soll sich weltweit als Partner kleiner und mittlerer Staaten profilieren, denen es gegen Störer von Freihandel und liberaler Weltordnung wie China den Rücken stärkt. Diese Rolle als aktive Militärmacht soll dann als Hebel wirken, um im globalen Dorf Handelsvorteile herauszuschlagen – vor allem in Asien.

Wie aber passen „Global Britain“ und die Streitkräfte des Vereinigten Königreichs in Zeiten schrumpfender Wehretats zusammen? Die britische Regierung betont gerne, dass sie das Nato-Ziel erfüllt, zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Streitkräfte aufzuwenden und sogar leicht darüber zu liegen. Laut aktuell noch gültiger Sicherheitsdoktrin von 2015 ist die Konzeption der Streitkräfte die einer Mittelmacht mit einem gewissen globalen Anspruch. Der wird nun durch das „Global Britain“-Konzept verstärkt. Doch ist diese Strategie stimmig?

Verteidigungshaushalt dauerhaft unterfinanziert

Seit den massiven Mittelkürzungen nach der Finanzkrise 2008 ist der britische Verteidigungshaushalt durchgehend unterfinanziert. Der aktuelle Ausblick des britischen Rechnungshofs auf die Rüstungsplanung bis 2029 zeichnet ein eher düsteres Bild: „Das Verteidigungsministerium sieht weiterhin signifikanten Deckungslücken entgegen und ist auf kurze Sicht gefangen in einem Kreislauf ständigen Einspardrucks.“ Hauptsächliche Rüstungsvorhaben wie zwei Flugzeugträger oder der Kauf US-amerikanischer F-35-Kampfflugzeuge konnten zwar gehalten werden, dies allerdings nur zum Preis einer stetigen Aushöhlung anderer Fähigkeiten durch Ad-hoc-Einsparungen, Stückzahl-Reduzierungen und Verschiebungen bei der Beschaffung neuen Geräts.

Die „Vengeance“ – zu deutsch „Vergeltung“ – ist eines von vier Atom-U-Booten des Vereinigten Königsreichs und Teil der Abschreckungsstrategie des Landes. (Foto: Tam McDonald / Crown)

Das Beispiel der Flugzeugträger, Leuchtturmprojekte der „Global Britain“-Ambition, illustriert die Probleme. Um die Schiffe einsatzbereit zu bekommen, stellten die Marine 2018 einen Hubschrauberträger ihrer Royal Marines vor der Zeit außer Dienst und verkaufte ihn an Brasilien, obwohl er gerade erst überholt worden war. Ohne dessen Mannschaft hätte die Navy den zweiten Flugzeugträger nicht bemannen können. Die Marines sollten zudem generell verkleinert werden, um Finanzmittel für die Flugzeugträger freizubekommen. Das Schrumpfen der symbolträchtigen Marineinfanterie – ebenfalls ein wichtiges Werkzeug globaler Machtprojektion – erregte zu viel Aufmerksamkeit und Widerspruch in Parlament und Öffentlichkeit.

Das Verteidigungsministerium blies daraufhin das Vorhaben ab. Klar ist, dass nun militärische Fähigkeiten dort ausgedünnt werden, wo es weniger auffällt. 2019 verkündete der damalige Verteidigungsminister Gavin Williamson, neue amphibische Angriffsschiffe beschaffen zu wollen. Damit sollen zwei Einsatzgruppen der Marines im Atlantik und im Indo-Pazifik die Präsenz der Briten verstärken. Nur ist fraglich, woher das Geld und die Mannschaften, die ja erst für die Flugzeugträger eingespart wurden, kommen sollen. Um den ersten Flugzeugträger „Queen Elizabeth“ wie geplant 2021 auf eine erste Mission zu schicken, hat die Royal Navy mit den US-Marines ein Abkommen ausgehandelt: Sie erhält von ihnen zusätzliche F-35, denn die Briten haben zu wenig eigene Maschinen, um ihren Flugzeugträger einsatzfähig zu bestücken. Die F-35-Beschaffung wurde in kleine Lose gesplittet und teilweise in die Zukunft geschoben, um sie im Etat unterzubringen.

Chinook-Hubschrauber der 27. Staffel der Royal Air Force während einer Übung in den USA. (Foto: Tim Laurence / Crown)

Wichtigster Pfeiler britischer Militärpolitik ist die enge Anbindung an die USA. Keine andere Nato-Armee ist derart interoperabel mit den US-Streitkräften. Die Briten sind traditionell verlässlicher Alliierter für US-Operationen; dafür erhalten sie einen bevorzugten Zugang zur amerikanischen Hochtechnologie. Das F-35-Programm der USA ist ein Beispiel für diesen Mehrwert. Großbritanniens Wehrindustrie ist hier enger Partner und erlangt Spezialwissen – vor allem im Bereich Tarnkappen-Technik –, das europäischen Konkurrenten fehlt.

Enge Bindung an die USA hat erste Risse

Aber das „Stets-an-der-Seite-der-USA“–Nutzenkalkül der Briten ist inzwischen gestört. Im US-Senat wurde kürzlich die künftige Stationierung von F-35 in Großbritannien in Frage gestellt. Deren Technologie sei dort nicht sicher, sollte London, wie angekündigt, China am Aufbau seines 5G-Netzes beteiligen.

Die Vereinigten Staaten sind immer weniger bereit, für erstrangige Sicherheitsinteressen der Europäer in die Bresche zu springen. Statt „Global Britain“ erwarten sie etwas ganz anderes von Großbritannien. Die USA konzentrieren sich zunehmend auf die Eindämmung ihres Hauptkonkurrenten Chinas. Laut „Global Britain“-Konzeption soll Großbritannien auch hier von der Anlehnung an die USA profitieren, indem es den Schwenk der Vereinigten Staaten nach Asien als treuer Partner begleitet. Doch das könnte eine falsche Annahme sein, meint Justin Bronk, Militärexperte am Royal United Services Institute in London. „Die USA brauchen uns nicht im Pazifik. Wir sollen sie eher im Nato-Verbund in Europa entlasten sowie in Afrika oder im Nahen und Mittleren Osten, damit Washington mehr Kampfeinheiten gegen China platzieren kann“, so Bronk im Gespräch mit loyal. Eine intensive eigenständige Machtprojektion Großbritanniens mittels der künftigen Flugzeugträger-Gruppe hält er für unrealistisch. Die Bereitstellung angemessener Begleitschiffe, um sie gegen einen modernen Gegner überlebensfähig zu machen, wäre äußerst kostspielig. Ein Einsatz im östlichen Mittelmeer und am Golf sei hingegen machbar. „Für ein globales Wirken des britischen Militärs sind kleinere Maßnahmen wohl realistischer, die jetzt schon im Vordergrund stehen und kostengünstiger sind“, so Bronk. Als Beispiele nennt er das international angesehene Training, fähige Militärattachés, Zusammenarbeit der Geheimdienste.

Unabhängiger werden von den USA

Die vor kurzem angelaufene Überprüfung der Sicherheitsstrategie von 2015 – inzwischen ausgesetzt wegen der Corona-Pandemie – soll laut dem neuen britischen Verteidigungsminister Ben Wallace das Ziel haben, die Streitkräfte Großbritanniens unabhängiger von jenen der USA zu machen. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, Kriege ohne die USA zu führen“, so Wallaces Erkenntnis. Dieses neue britische Interesse umzusetzen, erschwert allerdings der Brexit. So nannte Wallace die massive Abhängigkeit von US-amerikanischen Aufklärungsmitteln als ein Problem. Grundstock dafür sind Satelliten. Unglücklicherweise flog London nach dem Brexit aus dem Galileo-Projekt der EU-Staaten raus. Mit diesem Satelliten-Netzwerk zielen die Europäer darauf ab, nicht mehr auf das GPS-System der Amerikaner angewiesen zu sein.

Generell bauen die EU-Staaten verstärkt Rüstungskooperationen auf, um unabhängiger von den USA zu werden. In der EU gibt es durchaus ein Interesse, die ausgetretenen Briten einzubeziehen, weil deren Rüstungsindustrie innerhalb Europas einen Technologievorsprung habe, stellt der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Analyse zum Brexit fest. In der aktuellen Überprüfung der Sicherheitsstrategie werden Marine und Luftwaffe die geringsten Probleme haben, ihre Positionen zu behaupten, auch im Kontext der zu erwartenden Kosten von Brexit und Corona-Pandemie. Denn beide Teilstreitkräfte sind Hüter der strategischen Waffensysteme. Die Marine unterhält die Atom-U-Boote sowie die Flugzeugträger, die Luftwaffe das Multirollen-Kampfflugzeug F-35. Zudem hat die britische Regierung für Schiffbau und Luftfahrt ambitionierte Industriestrategien erlassen, mit denen Großbritannien seine industrielle Basis in diesem Bereich erhalten möchte.

Der schwere Kampfpanzer der British Army, Challenger II, während einer Übung bei Warminster nahe London 2009. (Foto: Ian Forsyth / Crown)

Eine entsprechende industriepolitische Rückendeckung haben die Landstreitkräfte nicht. Deren Hauptvorhaben ist der Aufbau einer kampfstarken Division bis 2025. Im Fokus stehen Eingreifbrigaden für schnelle Verlegungen, zumal an die Ostflanke der Nato – für das Bündnis ein wichtiges Projekt innerhalb der gemeinsamen Verteidigung. Doch die Rüstung dafür ist wegen schlechter Planung und Einspardrucks versackt. So wurde die drängende Modernisierung des Hauptkampfpanzers Challenger II erneut auf 2021 verschoben. Auch die Erneuerung der Heeresartillerie ist überfällig. Premierminister Boris Johnson kündigte an, die angelaufene „Integrated Review“ der Außen- und Sicherheitspolitik, werde die „radikalste Neubewertung von Großbritanniens Rolle in der Welt seit dem Zweiten Weltkrieg“. Das isolierte Vorgehen der USA drängt die Briten einerseits zu mehr Emanzipation von ihrem bevorzugten Partner. Andererseits erschwert der Brexit die Kooperation mit den Europäern.

Politik des Durchwurstelns

Ob die Politik wirklich die Kraft zu einer Neubewertung findet, ist nicht sicher. Massive Erhöhungen des Wehretats sind angesichts der noch unklaren Kosten der Corona-Pandemie unwahrscheinlich. Gleichzeitig sind die regierenden Konservativen dem alten Paradigma verhaftet, eine globale Militärmacht sein zu müssen, stellt Ian Bond fest, Sicherheitsexperte am Think Tank Centre for European Reform in London. Für ihn ist das wahrscheinlichste Szenario, dass die bisherige Politik des Durchwurstelns weiter geht. „Beschaffungen werden wie üblich gestreckt, um sie im Etat zu halten, auch wenn sie langfristig teurer werden. Dann folgen Effizienzprogramme, die versuchen, mehr aus weniger herauszuholen“, so Bond zu loyal. Die Folge solcher Streitkräfteplanungen sind hohle Strukturen, wie man sie von der Bundeswehr kennt. Die funktionieren nur so lange, bis sie ernsthaft getestet werden. Ein unguter Ausblick für eine der wichtigsten Militärmächte in Europa und für Europa als Ganzes.

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