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Zeitenwende ade?

Russlands Angriffskrieg hat für die Deutsche Marine die Bündnisverteidigung in den Mittelpunkt gerückt. Doch die angestrebte Modernisierung mit voller Kraft ist in Gefahr.

Nicht immer fällt das Licht so sanft auf die Deutsche Marine wie auf diesem Bild von der Korvette „Erfurt“ in der Ostsee. Die See ist rau für die kleinste Teilstreitkraft – und nicht alles kann durch das Geld aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen geglättet werden.

Foto: picture alliance/dpa

Marine

Der Marine geht es wie dem Rest der Republik. Seitdem vor einem Dreivierteljahr Russland seinen Überfall auf die Ukraine begonnen hat, haben sich für die mehr als 16.000 Frauen und Männer der kleinsten deutschen Teilstreitkraft die Maßstäbe verändert. Vieles, was vorher groß und wichtig erschien, findet zwischen den Trümmern der europäischen Friedensordnung, steigenden Energiepreisen und der Angst vor einer Eskalation des Krieges im Osten Europas kaum noch Beachtung. Wie lässt sich in Zeiten von Corona an Bord vernünftig arbeiten? Was bringen Touren einer einzelnen Fregatte nach Fernost? Und warum verlor der letzte Marineinspekteur in Indien derart die Peilung, dass ihn Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) von seinem Posten entbinden musste? Angesichts des russischen Angriffskriegs wirken solche Fragen mittlerweile fast wie aus einer fernen Vergangenheit.

Vizeadmiral Jan Christian Kaack, der von Lambrecht zum Nachfolger des auf dem Subkontinent in Ungnade gefallenen Marineinspekteurs ernannt wurde, fackelte nicht lange, nachdem die ersten russischen Panzer in die Ukraine gerollt waren. Während Heeresinspekteur Generalleutnant Alfons Mais im sozialen Netzwerk LinkedIn bekannte, dass die Bundeswehr „blank“ sei, suchte Kaack Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Er erteilte Befehle an eine ganze Reihe seiner Kriegsschiffe. Die Korvette „Erfurt“, eigentlich auf dem Weg vor die Levante, schloss sich der Standing NATO-Maritime Group 1 an, die in Nord- und Ostsee kreuzte. Sie ist einer von vier Verbänden der Allianz, der das seegestützte Pendant zur schnellen Eingreiftruppe VJTF bildet.

Auch die Fregatte „Lübeck“, auf dem Weg in die Ägäis, änderte ihren Kurs und gliederte sich im Mittelmeer in die Standing NATO-Maritime Group 2 ein. Das Flottendienstboot „Alster“ lief aus, um in der Ostsee See- und Küstengebiete elektronisch zu überwachen und gesicherte Erkenntnisse zu gewinnen. Darüber hinaus brachen noch vier Minenjagdboote auf, um die Nordflanke der Allianz sichern zu helfen. Und das war nur der Anfang. Binnen zweier Wochen wuchs laut Auskunft der Marine die Zahl der im Einsatz stehenden Einheiten weiter auf 24, mit 1.700 Soldaten in See. „Blank“ sieht anders aus.

Der Chef der Deutschen Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, demonstriert Handlungsfähigkeit. (Foto: picture alliance/dpa)

Parallel dazu ließ Kaack den Auftrag erteilen, ein neues operatives Konzept zu entwickeln. Bündnissolidarität, Einsatzausbildung und die Aktivitäten in der Ostsee sollen besser miteinander abgestimmt werden. Weniger diplomatisch formuliert heißt das wohl: Wehrhafter werden und es die russische Seite auch wissen lassen.

Wie wehrhaft kann die Marine werden?

Wie wehrhaft aber kann die Marine angesichts der Zeitenwende, die Bundeskanzler Scholz in seiner Rede im Bundestag nach Ausbruch des Krieges hielt, tatsächlich werden? Eine Rückkehr in die Zeiten des Kalten Kriegs steht jedenfalls für sie nicht an, auch wenn die Bündnisverteidigung noch deutlich stärker in den Mittelpunkt gerückt ist, als es das Weißbuch 2016 ohnehin schon vorsah. Das dürfte sich auch in der ersten deutschen Sicherheitsstrategie spiegeln, die gegenwärtig unter Federführung des Auswärtigen Amts in Berlin erarbeitet wird. Der neue Ost-West-Konflikt in Europa spielt tausend Kilometer weiter östlich. Die Deutsche Marine muss heute nicht mehr die Ostseezugänge vor der Besetzung durch den Warschauer Pakt schützen und seine Seestreitkräfte dort einschließen. Eher müssten sich im Konfliktfall die Einheiten der Marine auf dem Weg in Richtung der baltischen Staaten vor Lenkflugkörpern in Acht nehmen, die aus der russischen Exklave Kaliningrad oder von schnellen Überwasserschiffen abgefeuert werden könnten.

Auch die Marine selbst hat sich verändert. Während die Zahl ihrer Einheiten geschrumpft ist und sich ihre Zusammensetzung verändert hat, sind die Aufträge für die deutschen Seestreitkräfte immer vielfältiger geworden. Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war, suchten Marine-Einheiten zunächst Minen im Persischen Golf. Nach den Terroranschlägen von New York und Washington D.C. patrouillierten ihre Schiffe dann auf der Jagd nach Terroristen im Mittelmeer. 2006 begann die Marine unter der Flagge der Vereinten Nationen mit dem bis heute erfolglosen Versuch, das Waffenembargo gegen die Hisbollah vor der Levante durchzusetzen. Es folgten Einsätze zur Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika und vor Somalia, Flüchtlingsrettung und Schleuserbekämpfung im Mittelmeer. Und vergangenes Jahr dann ging die „Bayern“ auf große Fahrt in den Indopazifik: Flagge zeigen gegenüber China.

Über eine lange Strecke dieser drei Jahrzehnte war die konventionelle Seekriegführung in den Hintergrund gerückt. Das änderte sich erst 2014 mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland und dem lange schwelenden Krieg in der Ostukraine. Die anderen Aufgaben aber blieben auch danach bestehen. Entsprechend umfassend stellt sich seit 2016 der Aufgabenkatalog der Marine im Weißbuch dar. Neben dem zurückgekehrten Schwerpunkt der Bündnisverteidigung soll die Marine auch das weiter leisten können, was sie seit 1991 unter Beweis gestellt hat.

Multitasking nicht zu bewältigen

Adäquat zu bewältigen war dieses Multitasking bislang nie. Seit 2015, so teilt die Marine mit, habe sie keine operativen Reserven mehr bilden können. Damit sei ihre größte Stärke, die Flexibilität, verloren gegangen. Auch Fähigkeiten wie etwa die Bekämpfung von Überwasserzielen aus der Luft mussten aufgegeben werden. Zwar hat die Marine mittlerweile viele Schauermeldungen hinter sich gelassen. Die Zeiten, in denen sämtliche U-Boote einsatzunfähig „an der Kette“ lagen, sind vorbei. Auch das Segelschulschiff „Gorch Fock“ fährt nach einer sündhaft teuren Reparatur-Odyssee mittlerweile wieder. Doch trotz laufender Modernisierungen, die bereits auf Grundlage zurückliegender Erhöhungen des Verteidigungsetats umgesetzt werden, reicht der Bestand der operativ verfügbaren Schiffe und Luftfahrzeuge weiterhin nicht aus.

Mit dem vielen Geld, das im Zuge des 100 Milliarden Euro schweren Extra-Schuldenbergs namens Sondervermögen den Streitkräften bereitgestellt wird, sollte sich das nun eigentlich ändern. Nach einem verzögerten Start und schleppenden Bestellungen hat die Verteidigungsministerin allerdings nun trotz Bedenken im eigenen Haus einen Teil der geplanten Anschaffungen wieder einkassiert, vor allem bei der Marine. Zuvor hatten Prüfer des Bundesrechnungshofs bemängelt, dass bei der Bestellliste für die Streitkräfte Zinsen und die galoppierende Inflation nicht berücksichtigt worden seien. Der Wert der Einkaufswünsche liegt also deutlich über dem Budget.

Betroffen von den Streichungen sind nun die Korvetten des Typs K-130. Sie eignen sich besonders zur Überwachung und Bekämpfung von Zielen in Küstengewässern und Randmeeren wie der Ostsee. Ursprünglich sollten einmal 15 von ihnen beschafft werden, zehn waren zuletzt vorgesehen. Nun sollen mindestens vier von ihnen dem Rotstift zum Opfer fallen.

Die geplante Fregatte F126, wie sie die Konstrukteure sehen. Der Bau dieser größten Fregatte der Welt soll nächstes Jahr beginnen. Es wäre das teuerste Schiffsbauprojekt in der Geschichte der Bundeswehr. (Foto: Damen)

Ähnlich sieht es auch bei der Fregatte 126 aus. Die Kriegsschiffe der „Saarland-Klasse“ sollen als erste über austauschbare Missionsmodule verfügen und zur dreidimensionalen Kriegführung ebenso befähigt sein wie für asymmetrische Konflikte. Mit einem zwischenzeitlich avisierten Beschaffungspreis von 5,27 Milliarden Euro für vier Einheiten ist die F126 das teuerste Schiffsbauprojekt in der Geschichte der Bundeswehr. Eine Option auf zwei weitere Schiffe sollte mithilfe des Sondervermögens gezogen werden. Diese Pläne wurden nun wieder begraben.

Dabei ist die Liste von Projekten, bei denen mehr Geld mehr Einheiten, eine schnellere Ablösung älterer Schiffe oder die bislang nicht vorgesehene Neuanschaffung ermöglichen könnte, noch länger. Sie reicht von der deutsch-norwegischen U-Boot-Kooperation über amphibische Fahrzeuge, Hubschrauber und weitere Seefernaufklärer bis hin zu kleinen, marktverfügbaren Kampfbooten im küstennahen Bereich.

Zu kompliziert, zu langsam

Das Geld ist auch nicht das Einzige, was die Marine braucht, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Das Beschaffungs- und Instandsetzungswesen ist zu kompliziert und zu langsam. Es muss entschlackt und beschleunigt werden. Gerade mit Blick auf Russlands aggressives Auftreten wären zügig Defizite in der Flotte zu beseitigen, die keinen Aufschub dulden. Munitions- und Ersatzteilvorräte müssten aufgestockt, die Führungsfähigkeit verbessert werden. Doch all das ist schneller gesagt als getan.

Die Marineführung ist gewillt, die Zeitenwende zur See zu vollziehen, um dem eigenen Auftrag künftig vollumfänglich gerecht werden zu können. Entschlossenheit allein aber, so ist zu hören, reiche nicht aus. Kaacks Vor-Vorgänger Vizeadmiral a.D. Andreas Krause drückte es auf Twitter Ende Oktober so aus: Sollten die Streichungen wahr werden, werde es für die Marine „sehr schwierig, die für die Landes- und Bündnisverteidigung erforderlichen Fähigkeiten zu stellen“. Seine Befürchtung kleidete er zum Abschluss in die Frage: „Zeitenwende ade?“.


Der Autor

Lorenz Hemicker ist Politikredakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

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