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Zeitenwende contra Energiewende

Die Bundesregierung will die Energiewende stemmen und dazu vor allem die Windkraft an Land ausbauen. Doch dem steht oft ein unerwarteter Gegner gegenüber: die Bundeswehr. Im niederbayerischen Kelheim sollten sechs große Windräder gebaut werden, doch eine Hubschraubertiefflugstrecke machte dem einen Strich durch die Rechnung. Ein Ortsbesuch.

Knapp 50 Kilometer von Kelheim entfernt befindet sich der Militärflughafen Manching. Dort testet die Wehrtechnische Dienststelle 61 das Fluggerät der Bundeswehr.

Foto: Bundeswehr / WTD 61

bundeswehrklimaloyal

Kelheim, Anfang Juli: Bürgermeister Christian Schweiger (CSU) hat wenig geschlafen: Ein heftiges Gewitter tobte die Nacht zuvor in Kelheim. Keller liefen voll, Autos wurden unterspült. Schweiger kümmerte sich darum, dass die Einsatzkräfte der Feuerwehr da waren, wo sie gebraucht wurden, telefonierte fast die ganze Nacht. Schweiger ist Katastrophenalarm schon gewöhnt: Erst vor wenigen Wochen regnete es tagelang so stark, dass die Donau über die Ufer trat, ganze Straßenzüge mussten in Kelheim evakuiert werden. Starker Regen, viele heftige Gewitter: Der Klimawandel schlägt auch im niederbayerischen Kelheim zu.

Doch nicht nur extreme Wetterereignisse beschäftigen Christian Schweiger. Auch die Frage, wo Kelheim in Zukunft seine Energie herbekommt, treibt ihn um. Es war Anfang 2022, Schweiger war noch nicht lange Bürgermeister, da überfiel die russische Armee die Ukraine. Energiepreise schossen in die Höhe. Die Kelheimer und die einheimischen Industriebetriebe wollten Antworten von Schweiger: Wo sollen in Zukunft bezahlbarer Strom und Wärme herkommen? In Kelheim und Umgebung gibt es einige sehr energiehungrige Betriebe, zum Beispiel Kelheim Fibres, das Viskosefasern herstellt. Zudem besitzt Kelheim mit dem Donauhafen einen der größten Häfen Bayerns, dazu einige Raffinerien. Für Schweiger war schnell klar: Er wollte die Energie für die Kelheimer Bürger und Unternehmen selbst vor Ort herstellen. „Wir wollten unabhängig von Putin und von den Schwankungen der Weltmärkte sein“, sagt Schweiger. Planbar, bezahlbar, möglichst klimafreundlich – und vor Ort hergestellt, so sollte der Strom für die Kelheimer sein.

Da traf es sich gut, dass es über Kelheim einen Höhenzug gib. Dort befindet sich der städtische Wald. Die Fläche schien perfekt für eine Windkraftanlage. Voruntersuchungen bestätigten: Hier weht genug Wind. Schweiger fackelte nicht lange und plante einen Windpark mit sechs Windrädern mit einer Höhe von 300 Metern, also die allerneuste Generation. „Das wäre ein Riesending für Kelheim gewesen, damit hätten wir den größten Windpark in Niederbayern gebaut“, sagt Schweiger. In Kelheim herrschte sodann Aufbruchsstimmung: Die Chefin der Stadtwerke, Sabine Melbig, unterstützte das Projekt, dazu eine Mehrheit im Stadtrat und die Anliegergemeinde Ihrlerstein, auf deren Gebiet ein Teil des Windparks stehen würde.

Geplanter Windpark liegt auf Tiefflugstrecke

Anders als bei vielen Windkraftprojekten gab es auch keine Proteste von Anwohnern. Die Argumente für den Windpark erschienen einfach zu stark: Die sechs Windräder würden 80 bis 90 Millionen Kilowattstunden an Strom im Jahr liefern. Das ist fast doppelt so viel wie die Kelheimer im Jahr verbrauchen. Daneben sollte ein großer Photovoltaikpark entstehen. Auch ein Elektrolyseur war in Planung. Damit wollten die Kelheimer die große Frage der Energiewende lösen: Was tun mit all dem regenerativen Strom, der erzeugt wird, wenn die Sonne scheint und der Wind weht, aber die Nutzer gar nicht so viel Strom brauchen? Aus dem überzähligen Strom hätte der Elektrolyseur Wasserstoff als Speichermedium hergestellt. In Zeiten mit großem Energiebedarf hätte dieser wieder zu Strom zurückgewandelt werden können. Auch ein großer Pluspunkt des Projekts: Da der Windpark auf städtischem Grund gebaut würde, würden Pachterträge einen erheblichen Geldbetrag in das  Stadtsäckel spülen.

Die Stadt Kelheim fand mit der Max Bögl Wind AG einen Projektierer, der das Thema angehen wollte. Immissionsschutz, Artenschutz, Bodenbeschaffenheit – verschiedene Gutachten wurden nun über die nächsten Monate für viel Geld eingeholt. Alles ging gut, das Projekt stand kurz vor der Realisierung. Da traf im Sommer 2023 ein Brief vom Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen (BAIUD) der Bundeswehr bei Schweiger ein. Mit einer unguten Botschaft. Darin hieß es, die Bundeswehr habe „erhebliche Bedenken“ angesichts des Windkraftprojekts. Der geplante Windpark liege auf einer Hubschraubertiefflugstrecke der Bundeswehr und könne deshalb nicht gebaut werden.

Melbig und Schweiger waren wie vor den Kopf gestoßen. Doch klein beigeben wollte Schweiger nicht. Er wollte es genauer wissen: Was sind die genauen Gründe der Bundeswehr? Und: Gibt es nicht doch noch eine Chance auf Verwirklichung des Windprojekts? „Zumal in Kelheim so gut wie nie Hubschrauber gesichtet werden“, sagt Schweiger. Er hakt beim zuständigen Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen (BAIUD) der Bundeswehr nach. Und erhält keine Auskünfte.

Setzen sich für den Ausbau der Windkraft in Kelheim ein: Bürgermeister Christian Schweiger (CSU) und Stadtwerke-Chefin Sabine Melbig. (Foto: Julia Egleder)

Er schreibt an Wirtschaftsminister Robert Habeck, Verteidigungsminister Boris Pistorius, sogar Bundeskanzler Olaf Scholz. Im Brief an Habeck fordert er diesen auf, „zu klären, welche Belange höher stehen: die Erhaltung eines marginal bzw. gar nicht genutzten Hubschrauber-Tiefflug-Korridors oder die rasche Umsetzung der Energiewende“. Und weiter: „Insbesondere möchten wir Sie bitten, mit Ihrem Kabinettskollegen, dem Verteidigungsminister Boris Pistorius, oder dessen Ministerium in Verbindung zu treten, um den Klimazielen der Bundesrepublik Deutschland gerecht werden zu können.“

Windkraft versus Bundeswehr: Mit diesem Problem sind die Kelheimer nicht allein. Der Bundesverband Windenergie meldet, dass allein im Jahr 2021 insgesamt 953 bereits in Planung befindliche Windräder nicht gebaut werden konnten, weil die Bundeswehr die Planungen stoppte. Eine enorme Menge an erneuerbarem Strom also. Neuere Zahlen gibt es nicht. Die Bundeswehr schreibt dagegen auf Anfrage von loyal, dass die Bundeswehr 95 Prozent der Anfragen positiv bescheide und Hubschraubertiefflugstrecken überhaupt nur fünf Prozent der Fläche der Bundesrepublik ausmachten. Doch warum kann man diese Strecken nicht einfach um ein paar Kilometer verschieben?

Auf Anfrage von loyal argumentiert ein Sprecher des BAIUD so: die Strecken könnten nicht verlegt werden, weil sich seit Jahrzehnten die Planungen für Infrastrukturprojekte, etwa Windanlagen an diesen drei Kilometer breiten Schneisen ausrichteten. Das heißt im Klartext: Würden diese verlegt, ständen danach andere Hindernisse im Weg. Aber können Hubschrauberpiloten nicht einfach um die Windkraftanlagen herumfliegen? Nein, das wäre auch nicht möglich, so das BAUID. Die Hubschrauberflüge müssten nicht nur bei guter Sicht, sondern auch in der Nacht und bei schlechtem Wetter ohne Hindernisse möglich sein. Zumal ein erhöhter Übungsbetrieb nun im Zuge des Ukrainekriegs und der Zeitenwende wieder verstärkt notwendig sei.

Hubschrauber, Radare, Pflichtmeldepunkte

Schweiger versteht die sicherheitspolitischen Anliegen durchaus. In den 1990er-Jahren diente er selbst als Soldat bei der Bundeswehr auf einem Minensuchboot. Doch was ihn ärgert ist, dass er nirgendwo Auskunft bekommt und keiner bereit ist, pragmatische Lösungsansätze mit ihm und dem Projektierer zu diskutieren. Aus seiner Sicht muss es doch eine Lösung geben, wie die Windräder gebaut werden können und trotzdem die Sicherheit Deutschlands gewahrt bleibt.

Immerhin: Nach mehreren Monaten des Nachhakens an verschiedenen Stellen – von Habecks Büro bekommt er immerhin einen Ansprechpartner im Wirtschaftsministerium zugewiesen – erhält er schließlich eine für ihn nachvollziehbare Antwort: Ja, die Hubschraubertiefflugstrecke über dem Kelheimer Stadtwald ist wichtig für die Bundeswehr und werde in Zukunft verstärkt genutzt, auch für ein geplantes Drohnentestprojekt. Die Windkraftanlagen am geplanten Standort sind deshalb auf keinen Fall möglich. Diese Info kommt schließlich vom Kommandeur des 50 Kilometer entfernten Militärflughafens Manching, von wo aus die Hubschrauber für ihre Übungsflüge starten und landen, und vom BAIUD.

Hubschraubertiefflugstrecken sind nicht die einzigen „Killer“ von Windkraftprojekten. Auch Radare oder sogenannte Pflichtmeldepunkte, die zur Orientierung der Hubschrauber- und Flugzeugbesatzungen dienen, können Windkraftanlagen stoppen. Doch nach Ansicht von Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie, könnte es durchaus pragmatische Lösungen geben. Modernere Radare, so Axthelm im Gespräch mit loyal, könnten zum Beispiel mit den Verwirbelungen, die durch die Windräder entstehen, besser umgehen.

Eine Nachrüstung der Bundeswehrradare könnte also schon viel bewirken. Auch könnten modernere Windräder selbst für die Radaraufklärung der Bundeswehr genutzt werden, schließlich könnten die Radare der Windräder nicht nur anfliegendes Getier erkennen, sondern auch feindliche Flugzeuge und diese Infos dann an die Bundeswehr weitermelden, schlägt Axthelm vor. Überhaupt: Für Axthelm ist die Abstimmung der Akteure das A und O, um pragmatische Lösungen finden zu können. Immerhin: Die Vertreter der Ministerien für Wirtschaft und Verteidigung treffen sich seit dem Frühjahr 2022 in der „Arbeitsgruppe Windenergie und Bundeswehr“, um genau diese pragmatischen Kompromisse zu finden.

In Kelheim ist davon allerdings noch nicht viel zu spüren. „Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Energiewende nicht wirklich politisch gewollt ist“, sagt Bürgermeister Schweiger. Zu oft stoße man an bürokratische Hürden, zu wenig seien die beteiligten Behörden bereit, offen zu kommunizieren und sich auch mal für eine gemeinsame Lösung einzusetzen. Und dabei Prozesse anders zu machen, als sie das für gewöhnlich tun. Immerhin hat er nun eine Karte, auf der die Hubschraubertiefflugstrecken verzeichnet sind. Das hilft ihm schon mal, zu erkennen, wo eine Windkraftanlage möglich wäre. Bisher funktionierte das nach dem Prinzip „Schiffe versenken“: Die Planer der Windkraftanlagen bekamen nur Nachricht darüber, wo eine Anlage nicht möglich ist – oft nachdem schon teure Vorarbeiten geleistet wurden. Nicht darüber, wo es gehen könnte.

Auch mithilfe der bisher als geheim eingestuften Karte über die Hubschraubertiefflugstrecken hat Schweiger nun zwei Flächen identifiziert, auf denen ein Windpark möglich wäre. Auf einer der beiden könnten vier Windkraftanlagen gebaut werden. Der Wermutstropfen: Es würde nur vier statt der ursprünglich sechs Windräder geben, also um einiges weniger an Stromausbeute. Und: Die Fläche gehört nicht der Stadt, sie müsste erst vom Besitzer angekauft werden. Doch selbst wenn der Besitzer die Fläche verkauft, dann verzögert sich der Baubeginn wegen der vielen Prüfverfahren und Genehmigungen noch bis 2026. Beim ursprünglichen Standort hätten sie jetzt schon bauen können. Die Energiewende, sie ist in Kelheim erst einmal ausgebremst.


Ausbau der Windenergie

Die Bundesregierung hat ehrgeizige Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien formuliert: Diese sollen bis 2030 mindestens 80 Prozent des Stromverbrauchs ausmachen. Weil das Potenzial an Wasserkraft schon fast ausgereizt ist, sollen vor allem die Photovoltaik und Windkraft an Land ausgebaut werden. Beim Ausbau der Photovoltaik liegt Deutschland im Plan, nicht so bei der Windkraft. Obwohl Genehmigungsverfahren beschleunigt wurden, hinkt der Ausbau der Windkraftanlagen den Zielen weit hinterher (115 Gigawatt sollen bis 2030 installiert sein, Stand 2023 sind erst 59 Gigawatt erreicht). Besonders im Süden der Bundesrepublik werden nur wenige Windanlagen gebaut.

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