Zivile Verteidigung: Wie Schweden und Finnland ihre Bürger schützen
Schutzräume, Notfallpläne für Energieversorger, regelmäßige Information der Bürger: Schweden und Finnland setzen bei der Verteidigung nicht nur aufs Militär. Was können die Deutschen davon lernen?
An alle Einwohner Schwedens, wir leben in unsicheren Zeiten. Nicht weit von hier wird wieder ein Krieg geführt. Terrorismus, Cyberattacken und Desinformation sollen uns verunsichern und uns spalten. Um gegen diese Bedrohungen zu bestehen, müssen wir zusammenstehen. Wenn Schweden angegriffen wird, liegt es an jedem von uns, Schwedens Unabhängigkeit und Demokratie zu verteidigen.“ Das sind die ersten Sätze einer Broschüre mit dem Titel „Wenn es zu einer Krise oder einem Krieg kommt“. Die schwedische Zivilschutzbehörde hat diese Broschüre Mitte November an alle Haushalte in Schweden per Post verschickt. In der Broschüre ist zum Beispiel beschrieben, wieviel Wasser und Lebensmittel die Einwohner zuhause aufbewahren sollen, um im Notfall mehrere Tage überleben zu können. Oder wo der nächste Schutzraum zu finden ist. Oder, wie die Bürger Verletzte versorgen sollen und wie man sich gegen einen Cyberangriff oder Desinformation wappnet. Die Broschüre ging an 5,5 Millionen Haushalte.
Schon im Jahr 2018 hatten die schwedischen Behörden eine ähnliche Broschüre verschickt. Zur Information der Bevölkerung, wie sie sich in einer Krise oder einem Krieg verhalten sollen, bietet die militärische Freiwilligenorganisation „Försvarsutbildarna“ zudem hunderte Informationsveranstaltungen in ganz Schweden an. Geleitet werden diese öffentlichen, kostenlosen Info-Veranstaltungen durch Reservisten und andere Ehrenamtliche. Fast immer sind sie gut besucht, wie loyal bei einem Besuch im Stockholmer Büro der „Försvarsutbildarna“ erfuhr.
Generell sind Schweden und Finnland schon weit auf einem Weg fortgeschritten, auf den sich Deutschland gerade erst aufgemacht hat. „Verteidigungsbereitschaft“, das ist für die beiden nordischen Länder ein Begriff, der sich nicht nur auf das Militär bezieht. Das Konzept der „Totalen Verteidigung“, das in beiden Ländern gilt, beinhaltet ein enges Zusammenspiel zwischen Bevölkerung und Militär bei der Verteidigung des Landes. „Dass die Zivilbevölkerung bei der Verteidigung mitmacht, ist für uns aus historischen und geografischen Gründen besonders wichtig“, sagt Brigadegeneral Markku Viitasaari, Leiter der „National Defense Unit“ im finnischen Verteidigungsministerium. Die Geschichte des finnisch-sowjetischen Kriegs von 1939 bis 1940 habe gezeigt, dass Finnland als Nation gegen einen übermächtigen Gegner nur bestehen könne, wenn die Bürger bei der Verteidigung mitmachen. Das sei auch angesichts der Geografie der nordischen Länder – viel Land, wenig Bevölkerung – besonders wichtig, so Viitasaari. Die zivile Verteidigung werde deshalb in seinem Land politisch priorisiert. Mehrere Ministerien arbeiteten reibungslos zusammen, um zum Beispiel notwendiges Gerät etwa im Sanitätsbereich anzuschaffen. Ein spezielles Komitee, in dem der Premierminister und Minister der beteiligten Ministerien einen Sitz haben, sorge zudem für reibungslose Abläufe und genug Geld für notwendige Beschaffungen beim Zivilschutz, so Viitasaari.
Konzept der „Totalen Verteidigung“
In Schweden muss bei der Verteidigung des Landes jeder mitmachen, das besagt das Konzept der „Totalen Verteidigung“. Jeder Bürger soll schon im Frieden wissen, auf welcher Position er im Kriegsfall eingesetzt werden wird. Personen mit besonderen kriegswichtigen Kenntnissen (etwa bei Katastrophenhilfe, Telekommunikation, etc.) sind spezielle Positionen, die im Kriegsfall übernommen werden müssen, zugeordnet. Und sie müssen sich in Übung halten. Seit diesem Jahr müssen Feuerwehrleute zum Beispiel regelmäßig Notfall-Szenarien üben. Das ist Teil der 2023 wieder eingeführten „Zivildienstpflicht“. Doch auch wer nicht beim THW oder bei der Feuerwehr ist, ist in Schweden nicht „fein raus“:
Personen ohne spezielle kriegswichtige Kenntnisse müssen sich im Krisenfall zum Beispiel in der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser oder Lebensmitteln engagieren. Wieder andere sollen auf ihren zivilen Arbeitsplätzen bleiben, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Hinter diesen Anstrengungen steckt die sogenannte „allgemeine Dienstpflicht“: Jeder Schwede und jede Schwedin und zudem alle, die in Schweden wohnen, sind vom 16 bis 70 Lebensjahr zum Ableisten dieser Dienstpflicht verpflichtet. In der Broschüre „Wenn es zu einer Krise oder einem Krieg kommt“, die an alle schwedischen Haushalte verteilt wurde, heißt es dazu: „Vom 16 bis zum 70 Lebensjahr bist Du Teil von Schwedens Totaler Verteidigung und musst im Kriegsfall Schweden dienen“.
Doch weiß tatsächlich schon jeder Mensch in Schweden, was er oder sie im Kriegsfall tun soll und auf welche Position er oder sie dann rückt? Bo Stennabb, Generalsekretär der freiwilligen Verteidigungsorganisation „Försvarsutbildarna“ schätzt, dass das etwa 70 Prozent der schwedischen Bevölkerung tatsächlich schon wüssten. Die Rate soll in den nächsten Jahren noch erhöht werden.
Zivilschutz kostet Geld
Doch die Einbindung der Bevölkerung in die Verteidigung ist das eine. Die Einrichtung und Ausstattung von Schutzräumen, die regelmäßige Überprüfungen von Häfen und anderer Infrastruktur auf ihre Kriegstauglichkeit, die Absprachen mit zivilen Unternehmen, die bei der Gesamtverteidigung mitmachen müssen – Zivilschutz kostet viel Geld und Personal in Behörden. Schweden will die Ausgaben für den Zivilschutz deshalb auf 37,5 Milliarden Schwedische Kronen (entspricht 3,275 Milliarden Euro) bis 2030 erhöhen. Für das Militär will Schweden 170 Milliarden Schwedische Kronen bis 2030 ausgeben, im Jahr 2028 werden das 2,8 Prozent des schwedischen BIPs sein. Das hat das schwedische Kabinett gerade erst in seiner „Defense Resolution 2025-2030“ beschlossen.
Auch beim Thema „Schutzräume“ sind Finnland und Schweden Vorbilder: In Finnland existieren 54.000 Schutzräume, in denen 4,4 Millionen Menschen und damit fast 90 Prozent der Bevölkerung untergebracht werden können. Auch in Schweden werden immer mehr Schutzräume ausgewiesen. Laut Zivilschutzbehörde MSB verfügt das Land im Moment über 64.000 Schutzräume, in denen circa sieben Millionen Menschen (70 Prozent der Bevölkerung) Schutz finden können.
Deutschland startet bei Null
Und wie sieht es in Deutschland aus? Die verschiedenen Aufgaben im Zivilschutz sind im föderalen System der Bundesrepublik zersplittert und auf viele verschiedene Akteure aufgeteilt. Weder gibt es ein zentrales Budget auf Bundesebene für Maßnahmen zum Zivilschutz noch ein Komitee, zur Abstimmung zwischen den verschiedenen beteiligten Bundesministerien wie es das in Finnland gibt. Und zum Thema „Schutzräume“: Da startet Deutschland praktisch bei Null. Im Moment arbeitet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gemeinsam mit den Innenministerien der Bundesländer in Deutschland einen Plan aus, wie in Deutschland wieder Schutzräume eingerichtet werden können. Im Moment stehen laut BBK von ursprünglich 2.000 nur noch 579 Bunkerräume in Deutschland zur Verfügung. Darin können rund 478.000 Menschen Zuflucht finden. Das sind 0,6 Prozent der deutschen Bevölkerung.