Zweitschlag-Garantie: Strategische U-Boote als Mittel der Abschreckung
Sechs der acht bekannten Nuklearmächte besitzen ballistische Atomraketen, die auf Unterseebooten geführt werden. International werden diese Waffen als SLBM (Submarine-Launched Ballistic Missile) bezeichnet. Die als Raketenträger eingesetzten U-Boote werden als strategische Unterseeboote oder (unter Verwendung des US-amerikanischen Kennungssystems) als SSBN bezeichnet.
Ballistische Atomwaffen auf U-Booten haben einen besonderen strategischen Stellenwert. Im Gegensatz zu landgestützten Raketen oder Atombombern ist der Standort eines abgetauchten U-Bootes unbekannt. Dies hat mehrere Vorteile. Die Vorbereitung eines Raketenstarts erfolgt unter Wasser, der Überraschungsmoment bleibt erhalten. U-Boote können aus jedem zugänglichen Gewässer heraus angreifen, sogar von unterhalb der Polareisdecke; ein Gegner kann den Angriffswinkel nicht vorhersagen. Ferner können strategische U-Boote, im Unterschied zu Interkontinentalraketen, sich dem Gebiet des Gegners nähern, die Flugzeit der Atomraketen ist kürzer. Aus diesen Gründen eignen sich SLBM für Überraschungsangriffe, insbesondere gegen Führungszentralen des Gegners.
Besonders wichtig ist die Tatsache, dass der Gegner keinen Erstschlag gegen ein verdeckt fahrendes strategisches U-Boot ausführen kann. Selbst wenn die eigenen Interkontinentalraketen oder Flugplätze zerstört werden, verbleiben die SLBM als Waffe für einen verheerenden Vergeltungsschlag. Folglich wird diesen Waffen ein starkes Abschreckungspotenzial nachgesagt. Bereits aus diesem Grund gelten sie häufig als wichtigstes Element im Kernwaffenarsenal.
Einsatztaktik
Strategische Unterseeboote werden speziell für den SLBM-Einsatz entworfen und ausgerichtet. Die größten Einheiten können bis zu 20 mehrstufige Atomraketen in Waffensilos führen, wobei die Raketen je nach Typ bis zu zehn Sprengköpfe haben können. SSBN können monatelang abgetaucht fahren, um der Ortung per Flugzeug oder Satellit zu entgehen. Um der Erfassung durch Sonar zu entgehen, wird der gesamte Schiffsrumpf mit einem schallabsorbierenden Überzug ausgestattet.
Vor allem die U-Boote der NATO-Staaten sowie Russlands sind ausgerichtet, unter der arktischen Eisdecke zu fahren. In eisfreien Gewässern bleibt das U-Boot beim Abfeuern einer Rakete abgetaucht. Die Rakete wird per Pressluft aus ihrem Silo befördert. Die erste Trägerstufe zündet, wenn die Rakete die Wasseroberfläche durchbricht. In arktischen Gewässern durchbricht das U-Boot zuerst die Eisdecke, und startet anschließend die Rakete.
SSBN-Flotten der Welt
Die US Navy besitzt mit 14 U-Booten der Ohio-Klasse die weltweit größte SSBN-Flotte. Jedes U-Boot führt bis zu 20 Atomraketen vom Typ Trident II-D5. Jede dieser 13 Meter langen Raketen ist ausgerichtet, bis zu 14 Sprengköpfe zu führen; aus Rüstungskontrollgründen werden allerdings nur vier Sprengköpfe pro Rakete montiert (Nutzlast jeweils zwischen 5 und 475 Kilotonnen). Je nach Schwere der Nutzlast beträgt die Reichweite der Trident II zwischen 7.400 und 13.000 Kilometern. In den 2030er-Jahren will die US Navy neue SLBM wie auch eine neue SSBN-Klasse (Columbia Class) einführen.
Großbritannien und Frankreich besitzen jeweils vier SSBN (16 SLBM pro U-Boot). Die britische Vanguard-Klasse, die in zehn Jahren durch die Dreadnought-Klasse abgelöst wird, führt die Trident-II-Rakete. Die französische Le Triomphant-Klasse führt die selbst entwickelten Raketentypen M45 (seit 1996) und M51 (seit 2010 mit 6 bis 10 Sprengköpfen, Reichweite 10.000 Kilometer). Vier neue U-Boote sollen in den 2030er-Jahren eingeführt werden.
Russland besitzt mit elf Einheiten die weltweit zweitgrößte SSBN-Flotte. Seit 2013 wird die neue Borei-Klasse eingeführt. Vier der geplanten zehn Einheiten sind bereits im Dienst. Die Borei-Klasse erreicht offiziell eine Tauchtiefe von 450 Metern. Sie setzt 16 RSM-56-Bulava-SLBM ein. Diese 2018 in Dienst gestellte Rakete führt bis zu sechs Sprengköpfen (100-150 Kilotonnen) und besitzt eine Reichweite von 8.000 bis 10.000 Kilometern. Die stärkste Rakete im Arsenal ist allerdings die R-29RMU2 Layner. Die 2014 eingeführte Waffe fasst bis zu zehn Sprengköpfe (oder vier Sprengköpfe a jeweils 500 Kilotonnen) und hat hat eine Reichweite von 11.000 Kilometern.
China unterhält derzeit sieben SSBN, doch sollen weitere zehn eingeführt werden. Acht der geplanten Einheiten gehören zur neu entwickelten Klasse 096. Gegenwärtig eingesetzte SLBM haben 8.000 Kilometer Reichweite. Die ab 2025 einzuführende JL-3-Rakete soll 9.000 bis 12.000 Kilometer Reichweite besitzen. Dies würde es chinesischen SSBN erlauben, aus den eigenen Territorialgewässern heraus die US-Westküste anzugreifen.
Indien stellte 2016 das Typschiff der Arihant-SSBN-Klasse in Dienst. Das zweite Schiff dieser Klasse soll 2022 eingesetzt werden. Die 6.000 Tonnen schweren Einheiten führen zwölf SLBM mit 750 Kilometern Reichweite oder vier K-4-Raketen mit 2.500 Kilometern Reichweite. Bis 2025 sollen weitere zwei Arihant in Dienst gestellt werden. Sie werden 7.000 Tonnen Verdrängung haben und die doppelte Nutzlast führen. Sämtliche SLBM Indiens haben nur einen Sprengkopf. Dies gilt auch für die in Entwicklung befindliche K-5 mit einer Reichweite von 5.000 Kilometern.
Nordkorea testete im Oktober 2019 einen als Pukguksong-3 bezeichnete SLBM. Südkoreanische Streitkräfte dokumentierten einen 450 Kilometer langen Flug, in dessen Verlauf die Rakete eine Höhe von 910 Kilometern erreichte. Im Januar 2021 stellte Nordkorea im Rahmen einer Militärparade eine noch größere Rakete vor. Ob diese bereits einsatzbereit sind oder tatsächlich Kernwaffen führen können, ist nicht bekannt. Aus strategischer Sicht dürfte Nordkorea SLBM anstreben, um US-amerikanische, südkoreanische und japanische Einrichtungen von Osten her zu bedrohen.
Trends
Im Rahmen der Flottenmodernisierung werden in der Regel neue SSBN-Klassen eingeführt, die größer als ihre Vorgänger sind. Die zusätzliche Länge, Breite und Tonnage steigert die Nutzlastkapazität (Ausnahmen bilden die geplanten britischen und US-amerikanischen SSBN, die weniger Raketen als die gegenwärtig eingesetzten Klassen führen sollen). Neue U-Boote haben auch bessere Stealth-Eigenschaften, um der Erfassung durch (leistungsgesteigerte) gegnerische Sensoren zu entgehen. Hierzu gehört die Einführung voll-elektrischer Antriebssysteme sowie der Einsatz von geräuscharmen Wasserstrahlpumpen anstatt Schiffsschrauben. Auf der neuen US-amerikanischen Columbia-Klasse wird erstmalig auch ein Reaktor eingeführt, dessen Brennstäbe nicht ausgetauscht werden müssen, sondern ununterbrochen 42 Betriebsjahre ermöglichen.
Auch bei der Entwicklung neuer Raketentypen werden Prioritäten gesetzt. Hierzu gehören gesteigerte Reichweite, verbesserte Zielgenauigkeit durch neue Sensoren und Führungselektronik, sowie die Fähigkeit, gegnerische Raketenabwehrsysteme zu überwinden. In letzte Kategorie fallen etwa manövrierfähige Nutzlastträger, Täuschkörper, sowie neue Materialien, die die Erfassung durch Radar oder Wärmesensoren erschweren.
Eine Alternative zu den SLBM bilden atomar bestückte Marschflugkörper. Pakistan setzt auf diese Technologie. Der eigens entwickelte Hatf-VII- oder Babur-Marschflugkörper kann einen konventionellen oder einen atomaren Sprengkopf führen. Die Waffe wurde 2017 und 2018 erprobt. Es wird international vermutet, dass Hatf-VII auf den beiden dieselelektrischen Unterseebooten der Hashmat-Klasse geführt wird. Russland meldete im Oktober die Verbesserung dieses Konzepts. Das Jagdunterseeboot „Severodvinsk“ startete aus 40 Meter Tiefe einen Hyperschallmarschflugkörper vom Typ Tsirkon. Die künftige Fähigkeit, hyperschallschnelle Kernwaffen auch per Jagdunterseeboot einzusetzen, könnte zu einer Verlagerung des strategischen Gleichgewichts führen.