Das WIR stärken – das ICH fördern. Macht eine Dienstpflicht unser Land zukunftssicher?
Veitshöchheim – Unter breiter Beteiligung von Politik, Bürgern und Verbänden fand in Veitshöchheim am Wochenende das Sicherheitspolitische Forum Süd statt. Der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. hat die Debatte um eine allgemeine Dienstpflicht in den Mittelpunkt der Veranstaltung gestellt. „′Das WIR stärken – das ICH fördern′ ist unser Leitgedanke heute“, sagte Verbandspräsident Oberst d.R. Oswin Veith MdB in seiner Rede. „Damit formulieren wir den Wunsch und den Anspruch, dass wir uns in einer globalisierten Welt voller Einzelinteressen und -akteuren wieder stärker und gemeinwohlorientierter untereinander vernetzen müssen“, erläuterte er vor rund 150 Gästen.
Experten aus Praxis und Politik auf dem Podium
In zwei Expertenrunden diskutierten zunächst Vertreterinnen und Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes, des Malteserhilfsdienstes, der Bundeswehr und des Reservistenverbandes und später Abgeordnete aller Parteien und Vereinigungen des Bayerischen Landtages über die Notwendigkeit und Durchsetzbarkeit einer allgemeinen Dienstpflicht für Deutschland.
Blaulicht und Bundeswehr sehen Handlungsbedarf
Innerhalb der ersten, von Jürgen Gläser vom Bayerischen Rundfunk moderierten, Podiumsdiskussion debattierten Vertreter von Hilfsorganisationen und Bundeswehr über die Sicht ihrer Organisationen auf einen möglichen Pflichtdienst. Allgemeiner Konsens: Die Debatte muss jetzt geführt werden, denn demographischer Wandel und die veränderte Bereitschaft der Menschen, sich für ihr Land zu engagieren, stellen uns zunehmend vor Herausforderungen. Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes sieht Handlungsbedarf: „Wenn die Gesundheitsversorgung und die Notfallversorgung nicht mehr gewährleistet sind, geht etwas kaputt in dieser Gesellschaft. Es ist unsere Aufgabe, das den jungen Menschen näher zu bringen.“ Eine Dienstpflicht braucht es dazu aber aus Hasselfeldts Sicht nicht: „Wir müssen den Freiwilligendienst attraktiver machen. Und wir sollten jedem, der sich freiwillig engagieren will, gesetzlich die Möglichkeit dazu zusichern.“
Frank Drescher vom Malteserhilfsdienst pflichtete Hasselfeldt bei: „Ob ein Pflichtdienst unsere Probleme löst, da bin ich skeptisch. Es muss gelingen, für den Dienst zu begeistern. Eine Anerkennung des Staates ist der erste Schritt, um auch in der Gesellschaft eine Akzeptanz zu schaffen.“
Den Blick in die Bundeswehr eröffnete Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis der Bundeswehr. „Ob wir den für die Bundeswehr skizzierten Aufwuchs auf eine Vollbefähigung aus einer reinen Freiwilligenarmee schöpfen können, wage ich zu bezweifeln“, so Schelleis. In den kommenden Jahren soll die Bundeswehr von heute 185.000 auf rund 200.000 Soldatinnen und Soldaten aufwachsen. „Ob das aber am Ende ein Pflichtdienst oder ein freiwilliger Dienst ist, kann ich nicht sagen. Aber ich bin mir sicher, dass wir von einem wie auch immer gearteten Dienst profitieren könnten.“
Vizepräsident für Sicherheitspolitische Bildung im Reservistenverband, Christian Faul, vertrat den Reservistenverband auf dem Podium. Er appellierte: „Wir müssen die Debatte jetzt führen und den Bedarf untersuchen, denn in zehn Jahren werden wir vor Problemen stehen, die sich ad hoc nicht lösen lassen. Wir wissen noch nicht, welches Modell es am Ende sein muss. Aber die Anforderung ist klar: Wir müssen die Resilienz festigen, die sozialen Dienste leistungsfähiger und menschlicher machen und wir müssen die Integration verbessern.“
Kontroverse Debatte der Abgeordneten des Bayerischen Landtags
In der zweiten Diskussionsrunde auf dem Podium diskutierten Mitglieder aller Parteien und Vereinigungen im Bayerischen Landtag über die Dienstpflicht. Es herrschte weitgehend Einigkeit, dass der Freiwilligendienst mit besseren Anreizen, etwa Anrechnung auf die Rente oder das Studium, gestärkt werden könnte. Die Positionen über einen Pflichtdienst hingegen gehen auseinander.
Manfred Ländner MdL (CSU) sieht einen Pflichtdienst kritisch: „Über eine Pflicht wird das rechtlich nicht gehen. Wir müssen uns fragen, wie wir junge Menschen wieder begeistern können, etwas zu tun.“ Gleichzeitig könne man auch für ältere Menschen im Berufsleben und im Rentenalter Anreize schaffen, um die Last so auf mehrere Generationen zu verteilen. Die AfD hingegen fordert die Rückkehr zur Wehrpflicht, erklärte Richard Graupner MdL: „Wir brauchen die Wehrpflicht, denn wir brauchen eine integrative Bundeswehr, die fest in der Gesellschaft verankert ist. Wir wollen die Wehrpflicht für Männer, Frauen sollen auf freiwilliger Basis zur Bundeswehr gehen können.“ In diesem Zusammenhang könne sich die AfD auch einer allgemeinen Dienstpflicht annähern.
Vom Freiwilligendienst zur Dienstpflicht?
Joachim Hanisch MdL, Freie Wähler: „Die Aussetzung der Wehrpflicht war ein Fehler, der – so sagen die Experten – nicht rückgängig gemacht werden kann.“ Eine knappe Mehrheit der Fraktion wäre für die Einführung einer allgemeine Dienstpflicht. „Ich halte eine solche Dienstpflicht für durchsetzbar und es ist wichtig, dass offen über dieses Thema diskutiert wird.“ Er schlug vor, mit einer Stärkung des Freiwilligendienstes durch bessere Anreize zu beginnen und darauf aufbauend in Zukunft eine Dienstpflicht einzuführen. Kerstin Celina MdL (Bündnis 90/Die Grünen) hielt dagegen: Neben den verfassungsrechtlichen Gründen sei das auch eine Frage der Kapazitäten: „Wir haben rund 1 Millionen Schulabgänger pro Jahr, die können wir nicht alle unterbringen in der Bundeswehr und den sozialen Organisationen. Das wäre eine Belastung.“ Die Teilnahme am Freiwilligen Sozialen Jahr dürfe auch nicht abhängig vom Einkommen der Eltern sein, wie es derzeit sei. „Anreize wie Rentenpunkte und Anrechnungen im Studium sind schön, aber am Ende wird es nur über Geld gehen“, so Celina.
Dr. Helmut Kaltenhauser MdL von der FDP ruft ein anderes Argument gegen einen Pflichtdienst auf: „Es wäre ein völlig falscher Ansatz, junge Menschen zwangsweise zu verpflichten.“ Auch Volkmar Halbleib MdL (SPD) berichtet über einige Skepsis gegenüber einem Pflichtdienst innerhalb seiner Partei. „Ich selbst gehöre zu den Befürwortern. Die verfassungsrechtlichen Probleme sind aus meiner Sicht lösbar.“ Ein positiver Aspekt einer Dienstpflicht könnte dabei auch sein, dass sich Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten und Bereiche wieder begegnen und die Gesellschaft damit wieder näher zusammenrücke.
Eine Studie soll Klarheit bringen
Die Diskussion war kontrovers. Die Frage, ob man Menschen verpflichten kann, ihre Zeit für einen gesellschaftlichen Dienst zu opfern, ist nicht einfach zu beantworten. Doch die kontroverse und gleichzeitig konstruktive Debatte zeigte auch, dass das Thema in der Landespolitik und Verbänden angekommen ist. „Um das Thema weiterhin zu befördern, setzen wir uns für das Jahr 2020 für die Durchführung einer Studie ein, die den Bedarf unseres Landes für einen Pflichtens genau analysiert und so eine gute Faktenbasis für die politische Entscheidung bietet“, resümierte Vizepräsident Faul.
Hintergrund:
Bereits seit 2015 setzt sich der Reservistenverband für die Einführung eines Gesellschaftsdienstes ein und folgt damit einem Beschluss seiner Bundesdelegiertenversammlung. Gemeint ist ein Dienst für alle jungen Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren – mit breiten Wahlmöglichkeiten in den Sektoren Pflege und soziale Diensten, Bundeswehr, im Bereich Umwelt und Naturschutz, in der Entwicklungshilfe, in Kirchen etc. [Das Positionspapier mit weiteren Details finden Sie hier]
ENDE DER MELDUNG
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